
Wie innovativ ist die Landwirtschaft?
Schon immer haben sich Landwirte ihrer Umwelt und den Bedürfnissen der Menschen angepasst. Erzählen Sie uns, wie die Agrarwirtschaft Tradition mit Innovation verknüpfen und die Welt auch in Zukunft sicher ernähren kann.

Verzerrte Realität
Ich glaube, dass viele Leute heutzutage absolut keine Ahnung haben, wie ein moderner Landwirt arbeitet. Da kollidieren im Kopf oft romantisch verklärte Vorstellungen von Wohlfühlfarmen à la „Old MacDonald hat ne Farm“ mit den schockierenden Bildern von Massentierhaltung und schlechten Bedingungen. Wie modern die meisten Höfe sind, wie innovativ unsere Bauern arbeiten und wie wichtig die Gesundheit und das Wohlbefinden der Tiere für sie ist, weiß kaum jemand. Mein Tipp: einfach mal einen Ausflug aufs Land wagen und sich die Betriebe anschauen. Ich kann mir vorstellen, dass der ein oder andere sehr positiv überrascht wird.

Mammutaufgabe
Ich habe gelesen, dass bis zum Jahr 2050 laut UN-Prognosen knapp zehn Milliarden Menschen auf der Erde leben werden. Aber die Erde hat gar nicht die Kapazitäten, um alle zu ernähren und es gibt bereits jetzt schon enorme Schwierigkeiten mit dem Anbau. Die Landwirtschaft muss also sehr innovativ sein, damit wir in Zukunft nicht alle verhungern.

Ich warte noch auf eine innovative Lösung, damit auf den Feldern in unmittelbarer Umgebung zu unserem Grundstück weniger Pestizide versprüht werden.

Hilfe für die Helfer
Die Honigbiene, viele Hummelarten und Hunderte von solitären Wildbienenarten bestäuben die Blütenpflanzen unserer Landschaftsräume und Gärten. Sie sind unersetzbar für die Produktion von Gemüse und Obst, denn technische Lösungen zur Bestäubung von Pflanzen im Freiland stehen in absehbarer Zeit nicht zur Verfügung. Der dramatische Rückgang der Bestäuberarten muss jetzt durch innovative Maßnahmen in der Landwirtschaft beendet werden. Bislang gibt es sie nicht in ausreichendem Maße. Die Zerstörung von Habitaten, der übermäßige Einsatz von Insektiziden und Herbiziden sowie die Überdüngung der Böden muss gestoppt werden, denn sie alle sind ursächlich am beschleunigten Artensterben beteiligt. Nur eine tiefgreifende Änderung im politischen Handeln kann meiner Ansicht nach langfristig helfen, die notwendigen innovativen Veränderungen herbeizuführen. Erhebliche Subventionen müssen für nachhaltige und umweltfreundliche Agrarmethoden bereitgestellt werden. Schutz der Bestäuberarten bedeutet Umstrukturierung der Landschaft von großflächigen labilen Monokulturen zu kleinräumigeren stabileren Strukturen. Das Ergebnis wird ein Gewinn an natürlicher Stabilität der Ökosysteme, die Erhaltung der Bestäuberarten durch Restaurierung und Vergrößerung der Habitate sowie eine gesicherte natürliche Bestäubung sein. Die notwendige innovative Landwirtschaft wird es nur bei ausreichender Förderung geben.

Prügelknabe wider Willen
Das Ansehen der Landwirtschaft in Deutschland hat zuletzt stark gelitten. Wir haben nicht nur Kritiker, sondern auch echte ideologische Feinde. Für diese Gruppen sind wir Luzifer vom Lande. Die Landwirtschaft hat sich in den vergangenen 20 Jahren den Bedürfnissen der Verbraucher, des Handels und der Vermarkter anpassen müssen. Wir Bauernfamilien haben uns spezialisiert, investiert und uns hoch verschuldet. Insoweit sind die landwirtschaftlichen Betriebe innovativ, mutig und zukunftsorientiert. Jetzt aber stehen wir zunehmend in der Kritik wegen unserer „Massentierhaltung“, so das Totschlagargument. Ja, es ist richtig: Wir halten mehr Tiere als früher, weil wir mit moderner Technik und viel persönlichem und finanziellem Aufwand hohe Qualitäts- und Sicherheitsstandards gewährleisten müssen, damit die Tiere vermarktbar sind. Sonst müssten wir die Höfe schließen, wie das viele unserer Berufskollegen schon getan haben. Die Tiere sind unsere Existenz, jeder Bauer liebt seine Tiere. Es ging ihnen objektiv nie so gut wie heute. Gleichzeitig arbeiten wir an neuen Konzepten mit abgedunkelten Ruhebereichen, vielen Spielmöglichkeiten, Aufsitzflächen und Pick-, Scharr- und Sandbadegelegenheiten. Ich wünsche mir, dass die Menschen mehr nachfragen, auch im Restaurant, woher das Fleisch kommt. Dass sie den Kontakt zu den Bauern suchen, sich informieren und die vielfach zertifizierte Nahrungsmittelqualität aus Deutschland schätzen lernen.

Digitale Tierfütterung ist innovativ: Das heißt Arbeitserleichterung und zu wenig essende, kranke Tiere werden schnell erkannt.

Innovation fördern
Gegenfrage: Was wäre, wenn sie nicht innovativ wäre? Wenn wir nur ein paar Jahrzehnte zurückschauen, haben wir die Antwort. Nämlich Hunger. Wir fühlen uns heute so sicher mit unserer Ernährung. Das sind wir aber nur, weil unsere Landwirtschaft innovativ ist. Die Stichworte heißen Digitalisierung und Präzisionslandwirtschaft. Im Moment vor allem mit dem Ziel, durch Innovation noch nachhaltiger zu werden. Beispielsweise durch Drohnen, die über Maisfelder fliegen und Schlupfwespen abwerfen, damit sie Schädlinge vernichten. Oder durch Traktoren, die über Geodaten gesteuert zentimetergenau Pflanzenschutzmittel oder Dünger sprühen und so deren Einsatz minimieren. Autonomes Fahren ist in der Landwirtschaft oft schon Realität. Bei der Tierhaltung hilft Digitalisierung, früh zu erkennen, wenn es einem Tier nicht gut geht. Die Daten werden direkt auf den Rechner des Landwirts übertragen. Was noch spannend ist: In der Landwirtschaft heißt Innovation auch „zurück zu den Wurzeln“. Etwa wenn wir alte Sorten wieder entdecken – zum Beispiel Äpfel, die weniger Allergien verursachen, resistenter sind oder besser mit dem Klimawandel fertig werden. Mein Ministerium hat den viertgrößten Forschungsetat in der Bundesregierung, um genau das möglich zu machen. Deshalb sind Digitalisierung und Forschung auch Schwerpunkte meiner Politik. Weil sie die Landwirtschaft nachhaltiger machen und ihr zu mehr Akzeptanz in der Gesellschaft verhelfen.

Die Besten ihrer Zunft
2018 ist ein Weltmeisterschaftsjahr – in Deutschland. Wie jetzt? Die WM läuft doch gerade in Russland. Ja, aber Fußball ist eben nicht alles. Unmittelbar vor den Toren Stuttgarts, auf dem Hofgut Einsiedel bei Tübingen, finden Anfang September die Weltpflügermeisterschaften statt – nach 1958, 1978, und 1998 das vierte internationale Kräftemessen in Deutschland. Von Beginn an diente die Leistungsschau der Landwirte neben dem Berufswettkampf auch dazu, den Stellenwert der Landwirtschaft und der Bodenbearbeitung in der breiten Bevölkerung zu steigern und ein Verständnis für die ökonomischen und ökologischen Zusammenhänge in der Nahrungsmittelproduktion zu schaffen. Wettbewerbe sind Publikumsmagneten, immer schon. Über die reine Kulturmaßnahme hinaus entstanden so in den vergangenen sechzig Jahren Wettbewerbe um das handwerkliche Geschick im Umgang mit dem Pflug. Der Pflug, der sich dreidimensional im Raum bewegt – vorwärts, seitwärts, nach oben und in die Tiefe – reagiert auf jede noch so feine Einstellung und jede Bodenveränderung. Das Leistungspflügen stellt einen öffentlichen Wettbewerb um das beste Ergebnis beim Pflügen dar. In den Anfängen gingen Ochsen- und Pferdegespanne mit Pflügen aus Holz an den Start, heute sind es Hightech-Gefährte, die

Neue Arbeitsteilung
Während ein Landwirt zu Beginn des vorherigen Jahrhunderts weniger als fünf Menschen ernährte, sind es heute mehr als 150. Das ist nicht das Ergebnis von mehr Fleiß oder Muskelkraft, sondern von Know-how und Innovation. Wie in allen Bereichen unseres täglichen Lebens – Menschen streben danach, Dinge besser und einfacher zu machen. Dabei geht es oft darum, neue Technologien und nachhaltige Methoden zu nutzen, diese aber nicht zwangsläufig auch zu besitzen. Durch Arbeitsteilung werden auch in der Landwirtschaft Kräfte freigesetzt. Der Landwirt konzentriert sich auf sein Kerngeschäft, etwa die Tierhaltung oder das Betriebsmanagement, und überlässt Arbeiten auf dem Acker mit kapitalintensiven und modernen Maschinen seinem professionellen und fundiert ausgebildeten Dienstleister: dem landwirtschaftlichen Lohnunternehmer. Düngung der Pflanzen nach Bedarf, Pflanzenschutz nur dort, wo es nötig ist, Bodenschonung und so weiter. Die modernen Agrardienstleister ermöglichen auch mittleren und kleinen Betrieben den Zugang zu Lösungen, die die Belange von Natur und Umwelt ökologisch nachhaltig – auch im Sinne von Verbrauchern und Landwirten – berücksichtigen helfen. Smart Farming, Landwirtschaft 4.0 – Digitalisierung ist zum Alltag in den Betrieben geworden und ermöglicht quasi eine „minimal-invasive“ Bewirtschaftung. Auch wenn es widersprüchlich erscheint: Nachhaltigkeit ist keine Frage von Größe und PS, sondern von Intelligenz.

Nichts als Profit
Ich lebe in einem Dorf, das umgeben ist von großflächiger Agrarwirtschaft. Wir alle, die wir hier leben, bezahlen dafür: unsere Straßen werden von Jahr zu Jahr schlechter. Denn die riesigen landwirtschaftlichen Fahrzeuge fahren über unsere Verbindungsstraßen zwischen den Dörfern, fahren durch die Dörfer und jedes Jahr werden die Löcher in den Straßen größer. Jedes Jahr flickt der Landkreis diese Löcher. Jedes Jahr brechen sie im Frost wieder neu auf. Weiterhin bezahlen wir mit der Beeinträchtigung unseres Wohlbefindens: Im Frühjahr werden Unmengen von Gülle aus der intensiven Tierhaltung auf die Felder gekippt. Über dem Land liegt dann ein schwerer und ekelerregender Ammoniakgeruch. Weiterhin müssen wir ertragen, dass die eintönig mit Mais oder Raps bebauten Felder – wobei es keine wirkliche Fruchtfolge gibt, sondern auch mal drei Jahre hintereinander Mais angebaut wird – vor der Aussaat, kurz nach der Aussaat, irgendwann zwischendrin und kurz vor der Ernte mit Unkrautvernichtern und Insektengiften gespritzt wird. Nachts kann es ihnen, wenn sie bei offenem Fenster schlafen, passieren, dass sie vom scharfen Geruch dieser Gifte wach werden. Daher kann ich hier von einer innovativen Landwirtschaft nur träumen. Ich wünsche mir eine Landwirtschaft, die das Wohlergehen von Mensch, Pflanze und Tier respektiert und ins Zentrum rückt. Was hier passiert, ist geldgetriebene Subventionswirtschaft.

Mut lohnt sich
Als ich mich vor acht Jahren nach vielen Überlegungen dafür entschieden habe, den Familienhof weiterzuführen, war ich von einer Mischung aus Euphorie und Zukunftsangst beherrscht. Jetzt kann ich sagen, dass die Entscheidung genau richtig war. Zukunftsängste gibt es zwar immer noch, denn das Wetter, politische Entscheidungen und ein Weltmarkt, den man nicht beeinflussen kann, lassen einen manchmal verzweifeln. Aber dann überwiegen die Momente, in denen man genau weiß, dass man den schönsten Beruf, den es gibt, für sich gewählt hat. Wenn im Herbst der Frühnebel auf den Feldern liegt und langsam von der Sonne aufgelöst wird, spürt man eine tiefe Verbundenheit zur Natur. Besonders schön ist, dass wir als Familie zusammen leben und arbeiten dürfen. Meine Eltern mit ihrer Erfahrung und inneren Ruhe sind eine wichtige Stütze für mich und meine Frau. Auch bei unseren Veränderungen haben sie, vielleicht auch mit Bauchschmerzen, mitgezogen. Durch die Solaranlage produzieren wir unseren eigenen Strom und der Anbau von Buchweizen macht uns ein Stück weit unabhängiger vom Markt. Und unsere 30 Bienenvölker sorgen für über 800 Kilogramm Honig, der sich sehr gut verkaufen lässt.

Geiz ist nicht geil
Finger weg von Billigfleisch! Auch um die Angebote bei Supermarktketten zur Grillsaison sollte man einen großen Bogen machen. Schwein, Rind oder Huhn, eingelegt in gezuckerten Soßen, für wenige Euro zu verkaufen, sollte meiner Meinung nach verboten werden. Das macht den Markt kaputt und steht in keinem Verhältnis zu der Arbeit, die die Bauern leisten.

Das richtige Gespür
Eine innovative Landwirtschaft ist für mich eine Landwirtschaft, die Nischen findet und nutzt. Ich persönlich liebe es, auf der „Grünen Woche“ in Berlin zu sein und Neues aus der Landwirtschaft zu entdecken – ob Heilpflanzenanbau, Urlaub auf dem Bauernhof oder besondere Sorten und Tierrassen auf Feld und Hof. Bauern waren immer Innovatoren und je kreativer sie sind, desto besser sind ihre Marktchancen und ihre Wahrnehmung in der Gesellschaft.

So innovativ wie die Subventionierung.

Landwirtschaft nicht als Klimaschoner verkaufen!
Weder kann das biologische Landwirtschaften den Hunger der Weltbevölkerung stillen noch die konventionelle Landwirtschaft einen positiven Klimabeitrag leisten. Deshalb nicht hieran herumdoktern. Große Flächen auf unserem Planeten können mit heutiger Technologie durch Meerwasserentsalzung, aus Photovoltaik gewonnen, bewalden und mit biologischer Landwirtschaft durchdringen (z.B. ganz Australien, flache Flächen in Nordafrika, Mexiko), damit das Klima positiv beeinflussen, CO2 in Biomasse binden, Biodiversität wieder erhöhen). Unsere gesamten Globalprobleme können aber nur durch eine schrittweise, langsame, nachhaltige Degression der Bevölkerung durch Aufklärung bis auf ca. 1 Mrd Menschen gelöst werden. Dabei kann jeder Mensch im Wohlstand leben.

Landwirt sucht Netz
Kaum eine Branche muss so sehr auf kurzfristige Entwicklungen reagieren wie die Landwirtschaft. Das Wetter oder Marktschwankungen zwingen zu schnellen, oft unkonventionellen Entscheidungen. Daher ist gerade die Landwirtschaft besonders aufge- schlossen für Innovationen. Zweidrittel der Bauern sagen, dass sie der Di- gitalisierung offen gegenüberstehen. Viele Höfe sind bereits mit digitalem Hightech ausgestattet. So arbeiten sie effizienter und nachhaltiger – und damit ressourcen- und klimaschonender. Digital Farming und Precisi- on Farming sind die Schlagworte, die die moderne Landwirtschaft derzeit beschreiben. Landwirte nutzen GPS- Daten, um mit teilweise selbstfahrenden Landmaschinen Düngemittel präziser auszubringen oder Pflanzen gezielter zu behandeln. Wetter-Apps, Drohnen, Melkroboter und andere Datenmanagementsysteme helfen, Ernteverfahren zu optimieren und die Betriebe auch wirtschaftlich zu stärken. Doch dafür sind die Land- wirte auf schnelle Internetverbindun- gen angewiesen, an denen es häufig in ländlichen Regionen noch immer mangelt. Laut einer repräsentativen Umfrage des Deutschen Bauernverbandes sind 77 Prozent der Landwirte mit ihrem Zugang zum Netz nicht zufrieden. Die Pläne der Bundesre- gierung, bis 2025 flächendeckend ein gigabit-fähiges Netz ausgebaut zu haben, sind zu wenig ambitioniert. Wir verlieren Zeit und vergeben Chancen, unsere Betriebe im internationalen Wettbewerb stark zu machen.
Johannes Werner, Leser