
Warum bin ich plötzlich Allergiker?
Der Frühling kommt, die Erkältung bleibt. Aus einer Woche werden zwei, dann drei und irgendwann ist klar: Das ist gar keine Erkältung, das ist eine Allergie. Schreiben Sie uns, wie Sie Ihr Leben mit einer Allergie meistern.

Keine eine Ursache
Allergien sind die Umweltkrankheit Nummer eins. Sie manifestieren sich vor allem an Haut und Schleimhäuten, eben den Grenzflächen unseres Organismus mit seiner Umwelt. Waren in der Mitte des 20. Jahrhunderts Allergien noch relativ selten, gehören sie heute zu den großen gesundheitlichen Herausforderungen der meisten modernen Gesellschaften. Doch warum nehmen Allergien überhaupt zu? Dazu gibt es verschiedene Theorien. Eine davon ist die Schadstoff-Hypothese, die unter anderem besagt, dass Umweltbelastungen wie der moderne „Smog“ in Großstädten mit seinen feinen und ultrafeinen Partikeln einhergehen mit häufigerem Auftreten von Allergien. Eine andere ist die Hygiene- oder Urwald-Hypothese. Dabei haben Untersuchungen ergeben, dass Bauernkinder signifikant weniger häufig unter Allergien leiden als Kinder anderer Berufsgruppen. Denn der maximal schützende Effekt kommt dann zustande, wenn die Mutter während der Schwangerschaft in einem Stall gearbeitet hat. Konträr dazu steht der heutige urbane Lebensstil mit seiner hohen Mobilität oder dem zunehmenden Alltagsstress. Dieser kann die Entwicklung von Allergien sogar beschleunigen, nur lässt er sich nicht einfach definieren – schon gar nicht molekular. Daher ist es auch so schwer, für die Praxis Präventionsempfehlungen zu geben. Bei Allergien handelt es sich um ein komplexes Zusammenspiel unterschiedlicher Faktoren und Ursachen, für deren Behandlung es mehr Allergie-Spezialisten braucht.

Kontakt unerwünscht – aber nicht immer
Eigentlich geht es gar nicht so plötzlich. Manchmal dauert es zehn Jahre und länger, in denen ich Kontakt mit einer Substanz habe, und erst dann entwickelt sich langsam eine Allergie. Die Voraussetzung dafür scheint wie so häufig eine erbliche Veranlagung zu sein. So ganz genau weiß man aber tatsächlich noch nicht, was darüber entscheidet, ob jemand bei seiner Disposition eine Allergie entwickelt oder nicht und wie lange das dauert. Einige Hinweise sind aber wichtig: Kontaktallergien entstehen umso häufiger, je intensiver und länger der Kontakt ist, je stärker eine Substanz als Allergen wirkt und je instabiler die Haut ist. Ekzeme an der Kontaktstelle sind die Folge. Kann das Allergen gemieden werden, kommt es meist auch wieder zu einer Abheilung. Leider lassen sich nicht alle Kontaktallergene meiden. Duftstoffe, Nickel oder Farbstoffe sind weit verbreitet und können immer wieder Probleme hervorrufen. Anders sieht es beim Heuschnupfen aus. Es handelt sich um eine völlig andere Erkrankung, die aber auch Allergie heißt, weil man früher noch zu wenig über die unterschiedlichen Ursachen der beiden Erkrankungen wusste. Beim Heuschnupfen lässt sich das Allergen meist nicht meiden. Hier ist aber eine Gewöhnung häufig hilfreich. Dem Körper soll die Fehlfunktion also durch einen kontrollierten und stetigen Kontakt abgewöhnt werden. Das dazu vom Allergologen angewandte medizinische Verfahren nennt man Hyposensibilisierung.
Der Hausarzt weiß Rat
Im Kern gilt: Bei den typischen Anzeichen einer Allergie, wie etwa der Reizung der Schleimhäute, von Nase und Augen, aber auch von Bronchien oder der Haut, ist die Hausärztin oder der Hausarzt zunächst sicher die richtige Anlaufstation. Das Problem liegt dann häufig weniger in der Diagnose als vielmehr im erfolgreichen Finden der auslösenden Allergene. Provokationstests oder entsprechende Laboruntersuchungen sind geeignete Instrumente, bei gegebenenfalls zunächst unspezifischer Diagnose die auslösenden Allergene einzugrenzen. Bei Ärztinnen und Ärzten mit einer allergologischen Zusatzausbildung ist das in der Regel kein Problem. Vor allem saisonal auftretende Allergien gehören in der Hausarztpraxis zum Alltag. Spezifischere allergologische Fragestellungen sollten im Wesentlichen, abhängig von der jeweiligen Lokalisation, von Pneumologen, Dermatologen und HNO-Ärztinnen und -Ärzten versorgt werden. Neben der medikamentösen Linderung der Symptome ist eine Hyposensibilisierung unter Umständen ein probates Mittel der Therapie.

Geänderte Verhältnisse
Im Laufe der letzten Jahre hat die Zahl der Menschen mit Allergien und Unverträglichkeiten stark zugenommen und auch für die Zukunft wird eine weitere Zunahme von Allergien erwartet. Einen Großteil trägt dazu unsere klinische Umgebung bei. Sie sorgt dafür, dass sich das Immunsystem langweilt. Alles wird desinfiziert, gewienert und geputzt. Unser Immunsystem wird nicht mehr ausreichend trainiert und schießt sich auf harmlose Dinge wie Pollen oder Lebensmittel ein. Diese Hygiene-Hypothese stützt sich auf die Annahme, dass der Vormarsch der Allergien in den Industrieländern auf übertriebener Hygiene beruht und einen Verlust der natürlichen Immunität nach sich zieht. Eine weitere Theorie geht davon aus, dass Schadstoffe die Allergieentstehung begünstigen. So werden etwa Pollen durch Umwelteinflüsse wie Ozon oder Dieselruß immer aggressiver. Hinzu kommt, dass wir heutzutage eine weitaus vielfältigere Allergenbelastung haben als noch vor 50 Jahren. Schauen wir uns das Lebensmittelangebot an. Wir gehen immer weiter weg von natürlichen Lebensmitteln hin zu Fertigprodukten und Schnellgerichten mit möglichst wenig Aufwand. Für deren Herstellung sind viele Hilfsstoffe nötig. Die Qualität der Lebensmittel sinkt zu Lasten der Gesundheit. Beispiel Erdnuss: Heutzutage werden Erdnussbestandteile so vielfältig in unseren Lebensmitteln eingesetzt, dass in den letzten Jahren die Zahl der Erdnuss-allergischen Kinder dramatisch angestiegen ist.

Auf falscher Fährte
Menschen, die eine Allergie bekommen, haben genetisch festgelegt die Neigung, besonders kräftig mit dem Immunsystem reagieren zu können – grundsätzlich eine gute Eigenschaft. Nur richtet sich das Immunsystem bei der Allergie versehentlich gegen eigentlich harmlose Umweltstoffe wie Pollen oder Hausstaub. Die Ursachen liegen zum einen darin, dass Pollen in der Stadt mit Schadstoffen belastet sind. Diese führen zu einer Irritation, etwa der Nasen- oder Augenschleimhaut, und das wiederum reizt das Immunsystem. Zum anderen aber ist das Immunsystem auch hierarchisch aufgestellt. Wenn schwere Erkrankungen vorliegen, bei denen Allergiker übrigens eine bessere Chance haben zu überleben, kümmert sich das Immunsystem zunächst um diese. Dies ist Grundlage der sogenannten Hygienetheorie. Wächst man nicht mit gefährlichen Bakterien auf, kümmert sich das Immunsystem um weniger gefährliche Stoffe und nimmt eventuell auch Allergene in den Fokus. Glücklicherweise kann man Allergien inzwischen sehr gut behandeln. Es gibt einerseits die Immuntherapie, die Allergien zurückdrängen kann und das Immunsystem wieder tolerant macht. Gerade jetzt gilt für die Betroffenen jedoch die Botschaft: Symptomatische Behandlung ist wichtig. Medikamente wie nicht müde machende Antihistaminika oder Cortison-Nasensprays, die nicht mehr in die Blutbahn übergehen, sind jetzt eine gute Möglichkeit, beschwerdefrei durch das Frühjahr zu gehen. Fragen Sie Ihren Arzt hierzu.

Und wieder der Klimawandel
Unser Immunsystem wird unbemerkt „scharf gestellt“, das heißt auf bestimmte Allergene sensibilisiert. Dies geschieht zunächst ohne Symptome wie Schnupfen oder Juckreiz. Bei einigen Menschen treten bei erneutem Kontakt mit Allergenen Symptome auf. Dies geschieht plötzlich, ohne leicht bemerkbare Vorwarnung. Erst jetzt spricht die Medizin von einer allergischen Erkrankung oder Allergie. Durch den Klimawandel verändern sich Trocken- und Regenphasen: Wetterextreme nehmen zu und neue biologische Nischen entstehen. Dadurch gibt es mehr Pollen von mehr Pflanzen mit hohem Allergiepotenzial über fast das gesamte Jahr hinweg und mit teils aggressiveren Pollen. Diesen Effekt verstärkt die Verstädterung, da die natürliche Vielfalt, mit der wir Menschen auf dem Land über Tiere oder Natur in Berührung kommen, darunter leidet. Zu den klimabedingten Umweltveränderungen kommen menschenverursachte (Luft-)Schadstoffe hinzu, die unser Immunsystem empfänglicher für Allergene machen und so den Weg zur Allergie bahnen. Das ist ein Grund, weshalb in industrialisierten Ländern Allergikerzahlen rasant ansteigen. Aber was hilft? Wenn ich eine Allergie habe, hilft eine genaue Pollenfluginformation und das richtige Wasch , Lüftungs- und Freizeitverhalten. Viele Allergien können durch eine Hyposensibilisierung geheilt werden. Umweltverschmutzung und Klimawandel müssen wir eindämmen und gleichzeitig Mensch und Natur helfen, sich daran anzupassen.

Hilfe vom Profi
Die Themen Allergien und mehr noch Unverträglichkeiten im Allgemeinen treiben viele Menschen um. Vor allem chronische Beschwerden werden nicht selten als Reaktion des Körpers auf bestimmte Lebensmittel interpretiert. Eine Folge dieser Vermutung sind oft umfangreiche Auslassversuche auf eigene Faust. Derzeitige Hauptverdächtige sind Weizen beziehungsweise dessen Klebereiweiß Gluten, Milch, Histamin oder eine als FODMAPs bezeichnete Gruppe von Kohlenhydraten. Doch Auslassversuche ohne diätetische Betreuung sind nicht risikolos: Nährstoffe werden meist nicht adäquat ersetzt, eine Überprüfung des vermuteten Zusammenhangs findet nicht statt und die Vielfalt der Ernährung als Voraussetzung für Darmgesundheit wird massiv eingeschränkt. Dabei entstehen Allergien im Erwachsenenalter vor allem aufgrund von pollenassoziierten Kreuzreaktionen, was in erster Linie eine Einschränkung des Verzehrs von rohem Kern- und Steinobst, Haselnüssen und wenig verarbeiteten Sojaprodukten bedeutet. Auch Laktoseintoleranz und Probleme bei der Aufnahme großer Fruchtzuckermengen können relevant sein. Doch auch dann wird ernährungstherapeutisch nicht mit Meidung gearbeitet, sondern mit einer auf die individuelle Situation angepassten Kost. Auslassdiäten sollten daher niemals ohne ernährungstherapeutische Begleitung durchgeführt werden, da die Risiken zum Teil erheblich sind. Adressen für Ansprechpartner finden Interessierte beim Deutschen Allergie- und Asthmabund.

Auf falscher Fährte
Menschen, die eine Allergie bekommen, haben genetisch festgelegt die Neigung, besonders kräftig mit dem Immunsystem reagieren zu können – grundsätzlich eine gute Eigenschaft. Nur richtet sich das Immunsystem bei der Allergie versehentlich gegen eigentlich harmlose Umweltstoffe wie Pollen oder Hausstaub. Die Ursachen liegen zum einen darin, dass Pollen in der Stadt mit Schadstoffen belastet sind. Diese führen zu einer Irritation, etwa der Nasen- oder Augenschleimhaut, und das wiederum reizt das Immunsystem. Zum anderen aber ist das Immunsystem auch hierarchisch aufgestellt. Wenn schwere Erkrankungen vorliegen, bei denen Allergiker übrigens eine bessere Chance haben zu überleben, kümmert sich das Immunsystem zunächst um diese. Dies ist Grundlage der sogenannten Hygienetheorie. Wächst man nicht mit gefährlichen Bakterien auf, kümmert sich das Immunsystem um weniger gefährliche Stoffe und nimmt eventuell auch Allergene in den Fokus. Glücklicherweise kann man Allergien inzwischen sehr gut behandeln. Es gibt einerseits die Immuntherapie, die Allergien zurückdrängen kann und das Immunsystem wieder tolerant macht. Gerade jetzt gilt für die Betroffenen jedoch die Botschaft: Symptomatische Behandlung ist wichtig. Medikamente wie nicht müde machende Antihistaminika oder Cortison-Nasensprays, die nicht mehr in die Blutbahn übergehen, sind jetzt eine gute Möglichkeit, beschwerdefrei durch das Frühjahr zu gehen. Fragen Sie Ihren Arzt hierzu.

Immunsysteme können lernen
Warum Kinder Allergien entwickeln, ist ein Thema, das mich als Kinderärztin und Forscherin seit langem beschäftigt. In meiner Sprechstunde sehe ich das ganze Spektrum allergischer Erkrankungen, fast so vielfältig wie die Kinder, die ich behandle. Im Einzelfall ist diese Frage nicht zu beantworten. Wissenschaftlich sieht es so aus, dass viele Bausteine zusammenkommen müssen, damit ein Kind eine Allergie entwickelt. Der Endeffekt ist, dass das Immunsystem nicht gelernt oder verlernt hat, nicht auf natürliche Substanzen in der Umwelt wie Pollen, Tiere, Hausstaub oder Nahrungsmittel zu reagieren. Diese Bausteine haben bei allen Kindern unterschiedliche Gewichte. Bei manchen mag die Genetik eine Rolle spielen, wobei es viele verschiedene Gene gibt, die zu einer Allergie beitragen können. Bei manchen mögen schädigende Umwelt- und Lebensstilfaktoren die Waage zur Allergie hin drücken. Die Frage kann man aber auch umdrehen: Warum bekommen die meisten Kinder keine Allergie? Es gibt heute Hinweise darauf, dass das Nichtreagieren auf Umweltallergene ein aktiver Prozess ist, ein wirkliches Lernen von Toleranz, und dass daher die Vermeidung dieser Allergene nicht sinnvoll ist. Für ein erfolgreiches Lernen sind wahrscheinlich Lernhilfen notwendig, zum Beispiel das Aufwachsen auf einem traditionellen Bauernhof, zahlreiche Geschwister, ein Hund früh im Leben und das Fehlen von lernbehindernden Faktoren, etwa eine bestimmte genetische Ausstattung.

Ein Puzzle mit vielen Teilen
Die Frage klingt simpel, die Antwort ist es nicht. Bei Allergien kennen wir nicht nur eine, sondern viele Teilursachen. Grob vereinfacht: Alles dreht sich um Vererbung, Umwelt und Lebensstil – und diese Größen sind eng verzahnt. Hier kommt die Epigenetik ins Spiel, die die Einflüsse der Umwelt auf unsere Erbanlagen untersucht. Viele Allergie-Gene sind bereits bekannt. Sie erklären allerdings nur einen Teil der Vererbbarkeit bei Heuschnupfen, allergischem Asthma oder Neurodermitis. Die weltweite Zunahme allergischer Erkrankungen beruht eher auf Umweltfaktoren: Diskutiert werden urbaner Lebensstil, frühkindlicher Keimkontakt, Mikrobiom, Ernährung, Umweltbelastungen, Medikamente und Allergene. Diese und andere Faktoren steuern wahrscheinlich auch die individuelle Allergiekarriere und ihren Start. Was nützt das dem Allergiker? Ehrlich gesagt wenig, wenn die Allergie bereits besteht. Eher dürften zukünftige Risikokinder aus Allergikerfamilien profitieren. Zuvor muss es gelingen, erfolgreich Tipps zur Vorbeugung zu prüfen und umzusetzen. Statt linearer Kausalität entdecken wir eine Welt vernetzter Teilursachen: Allergien gelten als Paradebeispiel komplexer Gen-Umwelt-Interaktionen. Warum bin ich also plötzlich Allergiker? Individuell lässt sich das schwer entwirren und endet meist in Spekulationen. Für den weltweit wachsenden Bevölkerungsanteil mit Allergien sehen wir schon klarer: Viele Faktoren beeinflussen die Allergieentwicklung.
Johannes Ring, emeritierter Professor für Dermatologie und Allergologie, Universitätsklinikum der TU München