
Wie wird man zum Gründer?
Über anderthalb Millionen Menschen wagten zur Jahrtausendwende den Schritt in die Selbstständigkeit. Seitdem geht die Zahl konstant zurück, 2018 gab es nur noch 550.000 Unternehmensgründer. Woran liegt das und wie können wir den Status quo ändern? Schreiben Sie uns, was einen echten Gründer ausmacht.

Die Erfahrung deines Lebens
Es gibt zwei Arten der Initialzündung für Gründer: Entweder wollen sie ein Problem lösen oder einen Zustand verbessern und entwickeln dadurch den Drang, etwas Eigenes zu erschaffen – oder sie erkennen, dass Risikobereitschaft, Entscheidungsstärke, Dynamik und Ideenreichtum in der Konzernwelt nicht immer auf fruchtbaren Boden treffen. Bei mir war es eher Zweiteres – gepaart mit dem Wunsch, unsere Gesellschaft voranzubringen. Mich reizen am Unternehmertum drei Dinge. Erstens die Unabhängigkeit: Ich bin frei, sehe direkt, was ich schaffen kann, und entscheide selbst, ob und wie ich etwas machen will. Zweitens das Team: Für mich wird es zur Familie, da wir selbst unsere Werte und Leitplanken definieren, und der Gang ins Büro fühlt sich an, wie nach Hause zu kommen. Drittens die persönliche Weiterentwicklung. Es ist eine verrückte Reise ist mit den „highest highs und lowest lows“ und mit viel Verantwortung: Durch all das sicher und erfolgreich durchzusteuern, ist meine Aufgabe als Gründerin und Geschäftsführerin. Diese spannende und lehrreiche Erfahrung als Gründer sollten sich mehr Menschen zutrauen – gerade Frauen. Im Pitch achte ich auf das Team – wie groß ist es und wie gut finde ich die Gründer? Würde ich sie selbst einstellen? Was ist das Alleinstellungsmerkmal und kann man das verteidigen? Mit der Vision fängt alles an. Und dann heißt es: Einfach mal machen.

Ein gutes Konzept ins Rennen schicken
Die Arbeit am Gründungskonzept ist ein erster, wichtiger Schritt. Einfälle gibt es viele, aber wirklich gute Konzepte sind rar. Konzepte, die ökonomisch, möglichst auch ökologisch überzeugen. Das heißt: Abstand zum Thema gewinnen, recherchieren, tüfteln, verwerfen, neu anfangen – so lange, bis man mit klaren, deutlich erkennbaren Wettbewerbsvorteilen im Markt antreten kann. Aber dabei sollte man eins nicht vergessen: Ein neues, innovatives Konzept ist ein Bündel von Annahmen. Mein Rat an Gründerinnen und Gründer: Prüft eure Annahmen. Ist das Konzept wirklich so realistisch, wie ihr glaubt? Also raus in die Praxis und testen, testen, testen, bevor ihr ins volle Risiko geht. Die Qualität des Gründungskonzepts ist, so meine Erfahrung, wichtiger als die Menge an Kapital. Kopf schlägt Kapital. Lean Entrepreneurship ist heute angesagt. Ein überzeugendes Konzept, in der Praxis überprüft, mit ersten Kunden – mit solchen Vorgaben kann man Kapitalgebern, wenn man sie denn überhaupt braucht, ganz anders gegenübertreten. Und noch ein zweiter Punkt ist wichtig: Arbeitsteilung nutzen. Nicht alles selbst machen, sondern auf die Führungsaufgaben fokussieren. Ich nenne das: Gründen mit Komponenten. Mit professionellen Partnern, die ihre Sache wirklich verstehen und frühzeitig auf Fehlentwicklungen aufmerksam machen. Das Gründungskonzept muss so gut sein, dass es solche professionellen Hilfen finanzieren kann.

Sprung ins Lauwarme
Wie bei den meisten Dingen im Leben geht es beim Gründen meistens darum, aus der eigenen Komfortzone aufzustehen und Dinge einfach zu machen. Bestenfalls etwas, hinter dem man einhundertprozentig stehen kann. Den sicheren Job zu kündigen und das Risiko des Scheiterns sind sicherlich die größten Herausforderungen. Doch wenn man sich überlegt, was man eigentlich verlieren und zugleich gewinnen kann, wenn alles klappt, dann erscheint der Sprung ins Unbekannte vielleicht doch gar nicht mehr so gefährlich.

Liebe, was du tust
Wie man zum Gründer wird? Statistisch ist das zumindest einfacher als zur Gründerin zu werden. Nur 15 Prozent von Deutschlands Gründern sind Frauen. Diese Zahl stagniert seit Jahren. Für mich war der Sprung ins Unternehmertum das Beste, was ich je gemacht habe. Nachdem ich für ein paar Startups gearbeitet hatte, wurde mir klar: Die kochen auch nur mit Wasser. Es wuchs in mir der starke Wille, es selber zu versuchen. Ein starker Wille hilft auf jeden Fall in jeglicher Hinsicht. Geringe Lebenshaltungskosten und eine ordentliche Prise Naivität auch. Ich glaube außerdem, dass man sich fragen sollte, was einem so richtig viel Spaß macht. Unternehmerischer Mut ist eine gute Sache, aber gepaart mit echter Leidenschaft kann er großartige Unternehmen hervorbringen, die nicht nur kurzfristig gutes Geld verdienen, sondern unsere Welt nachhaltig prägen. Ich glaube, wenn jeder das täte, was er am liebsten tut, wäre unsere Welt besser. Mir gefällt am Gründerdasein am meisten, dass ich meine eigenen Regeln schreiben kann. Und dass ich mir die Leute herauspicken kann, die daran eine ebenso große Freude haben. Man stellt sich die Sinnfrage nicht. Denn wenn etwas sinnlos ist, ändert man es. Das ist unglaublich beflügelnd. Ohne meine Mitgründerin wäre ich nicht so weit gekommen. Ein Team, das sich vertraut und gleichzeitig herausfordert, ist viel Wert. Da fühlt sich das geteilte Risiko tatsächlich manchmal wie halbes Risiko an.

Glaube an deinen Traum
„Sei ängstlich, wenn andere gierig sind, und gierig, wenn andere ängstlich sind.“ Wie oft mir in meinem Umkreis geraten wurde, den unsicheren Hafen des eigenen Unternehmens nicht zu wagen, umso mehr wollte ich ihnen zeigen, jetzt erst recht. Als (angehender) Gründer muss dir klar sein, dass die Zeit der Umsetzung bis zum ersten Geruch des Erfolgs kein Zuckerschlecken wird. Die Einstellung ist der entscheidende Faktor. Für mich gibt es das Wort Misserfolg nicht. Es wird ersetzt durch Lernen. Nur so schaffst du es, in schwierigen Situationen weiterzumachen. Du benötigst Ausdauer, Selbstkritik und die Flexibilität dafür, dass der erste Entscheidungsweg nicht der Endgültige sein muss. Stehe zu 100 Prozent hinter deiner Idee. Überschreite deine Grenzen und hole dir den Blick von außen, um deinen Traum wahr werden zu lassen.

Dickes Fell
Mit Einführung von Hartz IV hat sich Unsicherheit in der Bevölkerung breitgemacht. Für Angestellte gibt es noch das ALG I, dieser Puffer entfäll für viele Selbstständige. Die Angst, bei einer Auftragsflaute direkt bei Hartz IV zu landen, wiegt schwer und hält viele Menschen vom Gründen ab. Der Leiter eines Gründerzentrums erzählte mir mal, es gäbe viele Menschen mit innovativen Ideen, die nicht gründen, weil sie nicht wissen, wovon sie bis zur Produktreife leben sollen. Selbstständigkeit bedeutet auch einen hohen bürokratischen Aufwand. Selbst in meinem Ein-Frau-Betrieb als politische Kabarettistin verbringe ich viel Zeit mit Verwaltung und dem Sortieren der Steuerunterlagen. Dazu kommt noch die fehlende Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, es gibt keinen bezahlten Urlaub, bei den Banken hat man einen schlechten Stand, die Krankenkassenbeiträge passen sich nur zeitverzögert dem erzielten Einkommen an und die Altersvorsorge ist auch sehr teuer. Häufig fehlt dann im Bekanntenkreis noch das Verständnis für die unregelmäßigen Arbeitszeiten. Es braucht also schon viel Überzeugung und Leidenschaft für den Schritt in die Selbstständigkeit. Bereut habe ich ihn trotz allem noch nie.

Zum Gründen braucht es Einfallsreichtum, Entschlossenheit, Mut, Geduld und Jägermeister.

Gründerfeuer im Blut
Es gibt nicht den einen Weg, um Gründer zu werden. Aber das ist gut so, denn ansonsten würde das Schönste am Gründen verloren gehen. Für mich persönlich ist das der Prozess. Gründen ist wie eine verrückte Reise, auf die du dich begibst, ohne das Ziel zu kennen und ohne Rückfahrkarte. Ein echter Gründer gründet nicht, weil er Gründer werden will. Ein Gründer möchte in erster Linie seine Idee verwirklichen. Eine Idee, die ein unaufhaltbares Feuer ausgelöst hat. Gründer sind Visionäre. Sie glauben an das Unmögliche, haben eine blühende Fantasie und lassen sich von nichts und niemandem aufhalten. Sie sind neugierig, wissbegierig und risikobereit. Auch eine gewisse Kühnheit, sich über Grenzen hinwegzusetzen oder sich sogar in gesetzlichen Grauzonen zu bewegen, gehört zum Gründen dazu. Gründer sind extrovertiert und kontaktfreudig. Ein Pitch vor 1.000 Menschen? Kein Problem. Ein Gründer arbeitet hart, anfangs vielleicht auch ganz alleine, und stellt in stressigen Zeiten Freunde, Familie und Hobbys hinten an. Das Leben ist kein Ponyhof und Gründen kein Schlaraffenland. Es kann nicht jeder Gründer werden, weil schlichtweg nicht jeder das Zeug zum Gründen hat – und das ist auch ok so. Es gibt viele andere erstrebenswerte Jobs und Karrierewege. Aber wenn eine Idee dieses Feuer in dir entfacht, dann wirst du es merken. Dann wirst du die Reise antreten – vielleicht sogar, ohne es zu realisieren – und ehe du dich versieht, bist du ein sogenannter Gründer.

Geborene Unternehmer
Das Gründen ist nur der Impuls, die Frage müsste eher lauten: Wie wird man Unternehmer? Und selbst hier kann ich nicht sicher sagen, ob man erst zum Unternehmer werden muss oder es eigentlich schon immer in sich hatte. Ich glaube, dass Letzteres zutrifft. Meiner Meinung nach sind in erster Linie nicht die Fähigkeiten ausschlaggebend, die man sich aneignet, sondern die, die man schon in sich trägt. Ich würde hier beispielhaft mal Widerstandsfähigkeit, Empathie und Ehrgeiz anführen, es gibt aber noch weitere. Darauf basierend braucht es dann natürlich dennoch weitere Fertigkeiten – betriebswirtschaftliches Know-how, technisches Verständnis oder Verhandlungsführung, um nur ein paar zu nennen. All das zusammengenommen ergibt die DNA eines Unternehmers. Alles darauf Folgende ist Timing und harte Arbeit. Noch wichtiger als eine gute Idee sind aber der Markt, den man beackern möchte und ein tolles Gründungsteam, wie wir es in unserem Unternehmen hatten und haben. In unserem Fall hat uns der Megatrend Mobilität gepackt und das Timing in Deutschland mit der Liberalisierung des für unsere Branche bestimmenden Bundesgesetzes war perfekt.

Gute Gründe
Warum sollte man auf die Bequemlichkeiten eines Angestellten- oder Beamtenstatus verzichten und das Wagnis einer Gründung eingehen, für das man im Falle des Scheiterns auch noch Häme kassiert?

Trotz Medienhype durch Gründermagazine, pointierte TV-Sendungen und eine hippe Tischkicker-Startup-Kultur gründen immer weniger Menschen in Deutschland Unternehmen. Vielleicht, weil Überstunden, Ängste und Ärger mit dem Finanzamt und der Bürokratie uncool sind und deswegen von den Medien ausgespart werden, die Menschen aber ein gutes Gespür dafür haben, was es heißt, in Deutschland ein Unternehmen zu gründen: zumeist Stress, Schulden und schlaflose Nächte.

Einfach machen
Ich bin selbst Gründer, begleite aber auch viele Gründer in unseren Startup-Programmen. Daher weiß ich: Das Gründer-Gen ist in jedem von uns angelegt. Jeder trägt irgendwie das Bedürfnis in sich, etwas aufzubauen. Doch neben Gründer und Gründungsidee muss noch eine Reihe anderer Umstände hinzukommen, damit eine Gründung überhaupt erfolgt – und dann auch noch erfolgreich werden kann. Anfangs braucht es ein Umfeld, das zur Gründung ermutigt, inspiriert und Kontakte zu anderen Gründern ermöglicht. In den späteren Phasen braucht es Mentoring, Beratung, Zugang zu Kapital, rechtliche Begleitung und dergleichen. Ein ganzes Gründer-Ökosystem muss bereitstehen. Das ist in Deutschland, abgesehen von wenigen Metropolen, noch selten der Fall – und in unserem Bildungssystem schon gar nicht: Ich habe BWL studiert, mein Co-Founder ebenfalls. Man könnte also meinen, wir seien aufs Gründen vorbereitet. Doch im Studium sind wir damit nie in Kontakt gekommen. Es braucht also mehr Entrepreneurship in unserem Bildungssystem. Und für die meisten auch einen „Augenöffner-Moment“ im Leben. Für mich war das ein Auslandsjahr in New York. Ich habe dort viele Menschen erlebt, die dieser inneren Stimme gefolgt sind, dass im Leben noch mehr gehen muss. Und sie waren bereit, für ihren Traum anfangs widrige Umstände in Kauf zu nehmen. Zurück in Deutschland war mir klar: Ich will etwas Eigenes aufbauen – und dafür das typisch deutsche Sicherheitsdenken aufgeben.

Gelegenheit macht Gründer
Die Frage erinnert mich an eine Interviewserie, die ich vor über zehn Jahren mit Gründerinnen durchgeführt habe. Damals wollte ich wissen, ob sich selbstständige Frauen als Gründer oder Unternehmer wahrnehmen. Die meisten Frauen konnten sich mit diesen Begriffen nicht identifizieren. Ihre Erklärung war, dass für sie das Bild des Gründers oder Unternehmers in unserer Gesellschaft eher männlich geprägt sei, mit Eigenschaften wie Durchsetzungsstärke oder Risikoneigung, und man weibliche Eigenschaften damit eher nicht assoziiere. Heute würde ich auf die Frage antworten, dass es ein vielschichtiger Prozess ist, Gründer zu werden. Meine eigene Gründergeschichte begann nämlich nicht mit einer Frage, sondern mit einem Impuls von außen. Ich arbeitete als wissenschaftliche Mitarbeiterin, mein Vertrag lief aus und zeitgleich erhielt ich die Anfrage, als Psychologin ein Testverfahren zur Personalauswahl zu entwickeln. Ich habe mein Netzwerk mobilisiert und nach kurzer Zeit waren wir drei Personen, die sich dachten, das machen wir einfach mal. Und so wurden wir zu Gründern. Was würde ich nun anderen Gründungsinteressierten raten? Wichtig sind Menschen an der Seite, denen man vertraut und mit denen man sich identifizieren und austauschen kann. Das können Vorbilder aus der Familie sein, aber auch Schulen und Hochschulen übernehmen hier eine wichtige Rolle, indem sie für das Thema Gründung sensibilisieren und Menschen zusammenbringen.

Überholte Vorurteile
Viele trauen sich vielleicht nicht, sich selbstständig zu machen, weil sie Angst vor der überbordenden Bürokratie haben. Alles ist zu intransparent und verwirrend. Tatsächlich stimmt das auch teilweise, aber es gibt mittlerweile so viele Materialien und so viele Möglichkeiten, sich Rat zu holen und sich zu informieren. Im Endeffekt ist dann alles nur halb so schlimm, wenn man einmal im Thema ist. Der Fiskus hat letztlich auch Interesse daran, Gründer zu unterstützen, und ist eher Freund als Feind.

Reise deines Lebens
Am Anfang steht die Idee. Und gute Geschäftsideen entstehen selten in einem Konferenzraum, in dem man krampfhaft versucht, sich was Innovatives auszudenken. Sie entstehen oft zufällig. Es klingt zwar cheesy, aber wie eine Sternschnuppe muss man sie dann zufällig entdecken – und ergreifen. Wir glauben nicht an ein Gründer-Gen. Jeder kann Gründer oder Gründerin werden. Aber wer ein Unternehmen gründen möchte, sollte lernen, anders zu denken. Du musst öfter in den Himmel sehen als andere, die Augen nach Ideen offenhalten. Und wenn du die Sternschnuppe siehst? Dann solltest du sofort anfangen, nachzudenken, zu brainstormen, an deiner Idee zu arbeiten – und sie bloß nicht gleich wieder vergessen. Übrigens: Der Zeitpunkt zum Gründen ist selten perfekt. Das bedeutet: Wenn Gründen dein Traum ist und du es irgendwie schultern kannst – vielleicht am Anfang nebenbei – dann ist es vermutlich jetzt auch Zeit für die Umsetzung. Die Devise heißt dann: Einfach machen. Du wirst erleben, wie schön es ist, wenn man eine Idee zum Leben erweckt. Wenn man diesen Prozess zudem noch mit Menschen teilen kann, zum Beispiel weiteren Teammitgliedern oder Mitgründern, dann macht es doppelt Freude. Es ist anstrengend, du hast nicht alles selbst in der Hand, brauchst Glück, manchmal ist es frustrierend oder verrückt, immer lehrreich und es geht oft schief. Doch wer nicht wagt, der nicht gewinnt. Wir drücken dir die Daumen.

Engagiert euch
Was beim Thema Gründen oft zu kurz kommt, sind die Möglichkeiten, auch außerhalb von Firmen etwas zu gründen: zum Beispiel Vereine, die sich sozial engagieren und eine hohe Verantwortung tragen. Das Ehrenamt ist der Rückhalt für unsere Gesellschaft.
Lea-Sophie Cramer, Gründerin Amorelie