
Wie wird man sein eigener Chef?
Rund vier Millionen Deutsche verdienen ihre Brötchen auf eigene Faust. Das Arbeiten ohne betriebliches Sicherheitsnetz ist nicht für jeden etwas – aber wer sich einmal in der Selbstständigkeit eingerichtet hat, genießt eine Freiheit, von der die meisten Angestellten nur träumen können. Schreiben Sie uns, was es alles für diesen Schritt in die Eigenverantwortung braucht.

Selbstständigkeit braucht Solidarität in der Arbeitswelt
Dem Ideal, der fremdbestimmten Tätigkeit in einer hierarchischen Arbeitswelt zu entfliehen, kommt kaum etwas näher, als die unternehmerische Selbstständigkeit. Die allerdings ist nicht allein durch einen rechtlichen Status gegeben. Die gesuchte selbstständige Programmiererin trifft auf ein deutlich anderes Umfeld (und andere Optionen der freien Entfaltung) als der Kurierfahrer. – Dass ein Drittel der Solo-Selbstständigen es ist, weil die Perspektive auf eine andere Tätigkeiten fehlt, muss sie nicht unglücklich machen, es spricht aber gegen die undifferenzierte Idealisierung der Erwerbsform. Wer nur vom Status her denkt, verliert das eigentliche Ziel, die Autonomie in der Arbeitswelt, leicht aus dem Blick. Damit die Erwerbsform Selbstständigkeit ihre zweifellos großen Potenziale auf Selbstbestimmung realisieren kann, braucht es »Gute Arbeit« und gleichwertige Bedingungen und Einkommen in allen Erwerbsformen eines Berufs sowie leichte Übergänge zwischen abhängiger und selbstständiger Tätigkeit. Bei all dem hilft ein Umfeld des Verständnisses für andere Lebens- und Erwerbslagen und ein Zusammenhalt aller Erwerbstätigen. Eine solidarische Gesellschaft auch in der Arbeitswelt. – Vielleicht ist deshalb ausgerechnet eine Gewerkschaft, die ver.di, heute die größte Mitgliederorganisation für Solo-Selbstständige, in der gegenseitige Hilfe, Beratung und Vernetzung selbstverständlich sind?

Gemeinsam Gründen
Menschen sind verschieden, haben unterschiedliche Wünsche, Vorlieben und Möglichkeiten. Viele brauchen die Sicherheit einer Festanstellung; manche machen sich selbstständig, weil sie das bevorzugen, andere aus Not, weil sie keine feste Stelle finden. Viel zu wenige wissen, dass es eine weitere Möglichkeit gibt, nämlich sich gemeinschaftlich selbstständig zu machen. Grundlegend ist dabei der Genossenschaftsgedanke der gemeinschaftlichen wirtschaftlichen Selbsthilfe und der Solidarität. So bieten beispielsweise IT-Fachleute ihre Leistungen in einer genossenschaftlichen Agentur gemeinsam an und arbeiten in größeren Projekten zusammen. In Handwerksgenossenschaften stellen sich die Mitglieder im eigenen Betrieb an oder führen als weiterhin Selbstständige ihre Aufträge unter dem Dach einer gemeinsamen Organisation aus. Freiberuflich Tätige im Kreativbereich mieten sich gemeinsam eine Etage, arbeiten mal für sich, mal projektweise zusammen und lassen sich voneinander inspirieren. Vieles lässt sich gemeinsam besser als allein organisieren, von punktueller Zusammenarbeit bis zum Kollektivbetrieb gibt es viele Möglichkeiten. Für diese „Kooperation statt Konkurrenz“ kann die Genossenschaft ein geeigneter Rahmen sein, jedoch lassen sich auch andere Rechtsformen genossenschaftlich ausgestalten. Entscheidend für das Gelingen sind die Beteiligten, ihr Miteinander, und dass sie auch in schwierigen Zeiten solidarisch zusammenhalten.

Am Strand von Mallorca mit dem Laptop arbeiten und Geld verdienen – soll es geben. Auch die „Gründer“-Idee der Ministerin Hoffmeisster-Kraut hat viel Charme. Aber so wenig jede Angestellte Cheffin werden wird, so wenig wird jede Selbstständige die Nische finden in der sie „unabhängig“ in einem marktwirtschaftlichen Geflecht agieren kann. Selbstständige arbeiten für Auftraggeber – und haben hier den Chef, der mitunter die Bedingungen diktiert. Es sind Wenige die in Branchen arbeiten, in denen sich ein kalkulatorischer Preis ohne Weiteres durchsetzen lässt. Der aufschäumende Markt der noch völlig „frei“ regulierten Arbeit bei Internetplattformen, die lediglich eine „App“ als Firmenkapital einbringen, wird den Anteil der abhänig beschäftigten Selbstständigen weiter anwachsen lassen. Ich möchte meine Selbstständigkeit nicht missen, wie viele meiner Kolleginnen. Dennoch, selbstständige Arbeit ist eben auch nur Erwerbsarbeit. Die oft scheinbare Unabhängigkeit hat ihren Preis und dieser Preis ist höher als in abhänngiger Beschäftigung. An den Errungenschaften des Sozialstaats teilhaben zu wolllen sollte auch für Selbstständige eine Selbst-Verständlichkeit sein. Altersarmut ist auch für Selbstständige keine Perspektive. Selbstständige in die bestehenden Sicherungssysteme einzubeziehen sollte ein solidarisches Ziel einer solidarischen Gesellschaft sein. Um dann ihren Job selbst und ständig zu gestalten.

Selbstdisziplin und Kooperationsfähigkeit
Selbstdisziplin ist ebenso wichtig wie die Fähigkeit, mit anderen (auch potentiellen »Konkurrent*innen«) zu kooperieren. Denn als Solo-Selbstständige*r ist es erfolgversprechender, die Ellenbogen einzufahren, anstatt mit harten Manschetten gegen die Konkurrenz anzukämpfen. So kann es u.U. gelingen, gemeinsam z.B. einen regionalen Markt zu beherrschen. Auch wenn es Kapitalismus-Fetischisten nicht wahr haben wollen: Gemeinsam sind auch Solo-Selbstständige stärker, als jede*r Einzelne für sich. Das haben über 30.000 von ihnen verstanden und organisieren sich in ver.di.

Zwei-Klassen-Wirtschaft
Zuerst einmal sollte man sich die Frage stellen, ob man das überhaupt möchte. In meinen Augen gibt es vier Eigenschaften, die man mitbringen muss, um ein eigenes Unternehmen zu grünen: Mut, Leidenschaft, Disziplin und Durchhaltevermögen. Wenn man auf diese Herausforderungen Lust hat, dann sollte man noch die passende Idee haben und dann legt man einfach los. Eigentlich relativ einfach: kündigen, gründen, machen. Aber ganz so einfach scheint es dann wohl doch nicht. Sonst hätten wir insbesondere mehr Frauen, die Unternehmen gründen. Warum das nicht passiert? Vielleicht weil das Elterngeld nur Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer unterstützt und das Gesetz, welches den Mutterschutz regelt, aus den 1960ern ist. Selbstständige haben übrigens gar kein Anrecht auf Mutterschutz. Wahnsinn! Wenn wir also etwas daran ändern und wieder mehr Unternehmertum in diesem Land sehen wollen, dann müssen wir zuallererst die richtigen Rahmenbedingungen schaffen. Im Grunde lässt sich nämlich ein eigenes Unternehmen sehr gut mit der Familie vereinbaren. Aber so viele Frauen haben Angst zu springen, weil sie einfach überhaupt nicht abgesichert sind. Hallo Politik, wir haben 2019: Lasst uns reden!

Auf erprobten Wegen
Franchising rückt mehr und mehr in den Fokus von jungen Existenzgründern. Innovative Konzepte gibt es in allen Branchen, das einheitliche Markendach bietet dabei zahlreiche Vorteile. Das ist keine Neuigkeit, schließlich ist diese Form der Unternehmenskooperation bereits seit vielen Jahrzehnten ein wichtiger Erfolgsfaktor innerhalb der deutschen Wirtschaft: Ein Unternehmer, der sogenannte Systemgeber, bietet seine Geschäftsidee Franchisenehmern gegen Gebühr zur Vervielfältigung an. Neu sind aber die innovativen Branchen, die dieses Geschäftsmodell mehr und mehr für sich entdecken und die Franchisewirtschaft zu einem dynamischen und reizvollen Umfeld machen. Auch was die Ausrichtung anbelangt: Neben den Kernbranchen Gastronomie, Dienstleistung, Handel und Handwerk gewinnen Social-Franchising und die Startup-Szene zunehmend an Bedeutung. Doch ganz gleich, ob in etablierter oder frischer Form: Als ein auf Partnerschaft basierendes, kooperierendes Geschäftsmodell bietet Franchising Gründern eine enorme Erfolgsperspektive. Als vollwertiger Partner eines Franchisesystems selbstständig zu sein, hat den Vorteil, sich an eine bestehende Geschäftsidee anzukoppeln und den bereits erprobten Weg weiterzugehen und mitzuprägen. In Form einer kooperativen Partnerschaft auf Augenhöhe ermöglicht Franchising dabei Unternehmertum und Selbstständigkeit mit einem Maximum an Sicherheit.

Solide geplant
Grundvoraussetzung ist ein durchdachter Businessplan, mit Investitionskosten, realistischer Schätzung der Erlöse und einem fundierten Konzept. Ganz wichtig: Diesen Plan sollten möglichst mehrere unabhängige Fachleute, zum Beispiel von Handels- oder Handwerkskammern, Innungen und Banken, auf Machbarkeit beurteilen. Auch ein gutes Netzwerk, etwa über einen Berufsverband, und Fortbildungsangebote sind gerade am Anfang hilfreich. Wenn dann die Finanzierung steht und die Arbeitsagentur noch finanzielle Unterstützung bewilligt, kann es losgehen.

Von Beginn an engagiert
Gründerinnen und Gründer gestalten mit ihren innovativen Ideen und Vorhaben die Zukunft unserer Wirtschaft entscheidend mit. Im Jahr 2017 haben wir deshalb die Landeskampagne „Start-up BW“ ins Leben gerufen, mit der wir den Gründerstandort Baden-Württemberg stärken und Startups in jeder Phase der Gründung unterstützen. Gerade die frühe Phase eines jungen Unternehmens stellt dabei eine besonders große und entscheidende Herausforderung für die Gründerinnen und Gründer dar. Sie benötigen ein gutes Netzwerk und erfahrene Berater, die ihnen helfend zur Seite stehen, wenn es um die Entwicklung des Geschäftsmodells, die erste Finanzierungsrunde oder den Markteintritt geht. In unseren „Start-up BW Acceleratoren“ werden sie daher umfassend und intensiv betreut und mit der Frühphasenfinanzierung „Start-up BW Pre-Seed“ sorgen wir für beste Rahmenbedingungen zur Umsetzung ihrer Geschäftsideen. Unverzichtbare Säulen unserer Kampagne sind zudem der einfache und unbürokratische Zugang zu Finanzierungs- und Beratungsangeboten, Gründungswettbewerbe oder Workshops an Schulen, um Schülerinnen und Schüler bereits früh für die Gründung eines eigenen Unternehmens zu begeistern. Dies sind nur einige Beispiele, wie wir die Menschen in Baden-Württemberg dazu ermutigen, ihre eigenen Chefs zu werden, denn eines steht fest: Um das Gründerland weiter zu stärken, brauchen wir noch mehr mutige und engagierte Menschen, die den Schritt in die Selbstständigkeit wagen.

Unbezahlbares Gefühl
Am Anfang steht die Geschäftsidee. Gut finde ich, wenn sie nicht nur mit finanzieller Motivation zu tun hat, sondern mit Begeisterung für eine Sache, dem Wunsch nach Selbstbestimmung und der Fähigkeit, Entscheidungen zu treffen. Sofern die Idee kein Hobby bleiben soll, muss sie geprüft werden: Gibt es Leute, die das Angebot brauchen und dafür bezahlen würden? Oder findet der Gründer es nur selber gut? Ein Businessplan zwingt ihn, systematisch zu planen, mit anderen über das Vorhaben zu sprechen und zu berechnen, wie viel Geld für Aufbau und Betrieb des Unternehmens nötig ist. Bereit loszulegen? Dann kommt der Faktor Zeit ins Spiel. Traut sich der Unternehmer, die bisherige Tätigkeit aufzugeben und die ganze Kraft ins Vorhaben zu stecken? Oder fängt er besser nebenher an, um die Idee erst im Kleinen auszutesten? Wichtig ist dabei zu bedenken, dass ein Unternehmer andere Pflichten als ein Angestellter hat. Verdient er so viel, dass er Aufgaben delegieren kann, oder muss er alles selbst erledigen? Klar ist, dass er für seine Arbeit einen höheren Stundensatz ansetzt als zuvor als Angestellter: Er hat jetzt höhere Ausgaben und muss alleine für Kranken- und Rentenversicherung aufkommen. Glücklich ist, wer bei alldem ein Netzwerk um sich hat, erfahrene Selbstständige, die mit Tipps zur Seite stehen – wie den VGSD mit Ansprechpartnern, Stammtischen und Experten-Telkos. Und am Ende? Steht das unbezahlbare Gefühl, etwas Eigenes geschaffen zu haben.

Der Kunde steht im Mittelpunkt
Viele Startups, vor allem aus der Technologiebranche, lieben ihr Produkt, ihre App, ihre nie da gewesene Dienstleistung. Das Problem ist nur, dass ihre zukünftigen Kunden keine Produkte, Apps oder Dienstleistungen kaufen, sondern Lösungen, die ihnen Nutzen bringen. Frage ich Gründer dann, wer ihre Zielgruppe ist, höre ich oft: Alle. Also wohl auch die Schulkinder und die Rentner? Wie kommen sie also dahin, dass echte Kunden am Ende Geld ausgeben? Da gilt es zunächst, die Zielgruppe exakt zu definieren. Bei Endkonsumenten heißt das also zum Beispiel Geschlecht, Alter und Familienstand und bei Geschäftskunden Unternehmensgröße, Branche und Abteilung, die das Budget hat. Mit diesen möglichen Käufern muss man sich dann auseinandersetzen, um basierend auf ihren Bedürfnissen zu verstehen, was ihnen wichtig ist und wofür sie Geld ausgeben. Hier empfehle ich Methoden wie die Empathy Map oder den Value Proposition Canvas. Die können Sie zunächst für sich selbst und Ihre Mitgründer nutzen und die Resultate anschließend mal mit Ihrer Zielgruppe testen. Jetzt verstehen Sie, wer warum kauft. Mit dem guten Verständnis, was Ihre Zielgruppe umtreibt und was sie antreibt, können Sie genau das anbieten, was Probleme löst und Nutzen oder Vorteile generiert. Wenn Sie auch noch klar machen können, warum sie bei Ihnen und nicht bei der Konkurrenz kaufen sollen, werden Sie zum Gewinner.

Chance haben, Chance nutzen
Ohne die Chance und Startkunden hätte ich mich als Alleinverdiener einer Familie nicht selbstständig gemacht. Mit dem Gründungszuschuss und dem Umsatz der Startkunden reichte das Geld die ersten sechs Monate, um die Lebenskosten zu decken. Ein Laptop, ein Smartphone und Internet war und ist alles, was ich zum Arbeiten brauche. Die Investitionen haben sich sehr in Grenzen gehalten, so dass ich eine Besonderheit bin: Ein Unternehmen ohne Schulden. Dazu hatte ich recht schnell ein Geschäftsmodell: vertriebsunterstützende Kommunikation mit Storytelling. Anrufe, Kontakte auf Events brachten Interesse hervor und neue Kunden kamen dazu. Es funktionierte. ich war Einzelunternehmer. Mit fast 50 Jahren. Hätte es nicht funktioniert, wäre ich auf Jobsuche gegangen. Ich brauche auch jetzt noch das Gefühl der Sicherheit, also eine gut gefüllte Neugeschäftspipeline und aktuelle Aufträge. In der Situation fühle ich mich sicher. Aber von außen wird mir immer wieder gespiegelt, wie mutig ich wäre. Doch ich fühle mich gar nicht so mutig. Eher aktiv. Das ist, was mir Sicherheit gibt - wenn ich dranbleibe. Ich gönne mir daher wenig Pausen. Lücken machen mir Angst.
Gunter Haake, Leser