
Was ist die Zukunft des Wohnens?
In Deutschlands Großstädten fehlen bereits heute knapp zwei Millionen bezahlbare Wohnungen, während gleichzeitig Mieten und Wohnungspreise immer weiter steigen. Eine ganze Wagenladung an Konzepten – von der Nachverdichtung bis zum Bau winziger Tiny Houses – verspricht Linderung. Verraten Sie uns, welche Ideen das Zeug dazu haben, zur Zukunft unseres Wohnens zu werden.

Vision Smart Home
Freitagnachmittag, 15:30 Uhr. Auf dem Heimweg von der Arbeit nimmt Uwe mit seinem Smart-phone Kontakt mit der „Zentrale“ seines Hauses auf: „Hallo (Alexa, Siri oder dergleichen), akti-viere Plan B fürs Wochenende, Raum fünf und sechs sind nicht belegt (die Kinder sind bei den Großeltern). Heute Abend kommen Gäste. Überprüf den Inhalt des Kühlschranks und sende mir eine Liste seines Inhalts. Pass die Heizzeiten für heute Abend an und deaktiviere die Alarmanla-ge (Wintergrill im Garten). Starte die Waschmaschine, nachdem die Autobatterie geladen ist. Ab 0:00 Uhr kann die Tiefkühltruhe auf minus 36 Grad heruntergekühlt werden.“ Vision oder bald Alltag? Smartphones steuern bereits heute Heizungs-, Lüftungs- und Alarmanlagen, smarte Tür-klingeln, Kameraüberwachungen, Bewegungsmelder. Sie überwachen die Luftqualität einzelner Räume, schlagen Alarm bei Fehlfunktionen. Doch mehr elektronische Geräte verbrauchen mehr Energie. Die zunehmende Digitalisierung der Gebäudetechnik erhöht den Nutzungskomfort und versucht, den Energieverbrauch zu zügeln. Die Gebäude werden insofern energieeffizienter, als deren Energie nur dann und dort verbraucht wird, wenn und wo sie vor Ort vorhanden ist. Wohnraum muss so flexibel sein, dass er sich unseren Bedürfnissen anpasst und nicht umge-kehrt. Künftig werden Digitalisierung und Vernetzung der Gebäudetechnik immer wichtiger und können einen Beitrag für die Versorgungssicherheit der Quartiere leisten.

Nach innen wachsen
Was wäre, wenn bis zu 2,5 Millionen neue Wohnungen in ungesättigten Wohnungsmärkten entstehen, also dort, wo sie dringend benötigt werden? Ohne zusätzliche Pendlerströme, ohne neues Bauland auszuweisen und ohne zusätzliche Flächen zu versiegeln. Und das kostengünstig und energieneutral, weil das Grundstück und die Infrastruktur zum Wärmen und Versorgen schon vorhanden sind. Der Schlüssel für mehr Wohnraum in unseren Städten ist die Innenentwicklung, eine höhere Flächeneffizienz und Dichte. Diese neuen Wohnungen entstehen auf vorhandenen Wohngebäuden und im Kontext von Nichtwohngebäuden – doch eine höhere städtische Dichte muss gut gemacht sein. Was können wir von Stadtteilen wie Kreuzberg in Berlin, Bornheim in Frankfurt am Main, Schwabing in München oder Eimsbüttel in Hamburg lernen? In diesen Stadtteilen wird gerne gewohnt und gelebt. Sie sind gemischt in jeder Hinsicht und weisen eine dreifach höhere Einwohnerdichte auf als der restliche Teil ihrer Stadt. Dichte ist durchaus attraktiv und bereichernd. Die städtischen Transformationen hin zu mehr qualitätsvoller Dichte und Mischung ist gleichzeitig die Chance für mehr Attraktivität und baukulturelle Gestaltungsqualität, für ernsthaften Klimaschutz und gesellschaftlichen Zusammenhalt. Aber dafür bedarf es Bewusstsein, Sensibilität und Unterstützung. 2,5 Millionen bezahlbare Wohnungen hängen von unseren gesellschaftlichen Entscheidungen und der Qualität der politischen Umsetzung ab.

Ende der Schonzeit
Um angesichts der Wohnungskrise in Deutschland effektiv gegensteuern zu können, bedarf es auch radikaler Lösungen, die sowohl die extremen Mietpreissteigerungen als auch die nicht hinnehmbare Verdrängung von Mietern stoppen. Insbesondere muss der Bestand an öffentlichen Wohnungen in der Hand von Bund, Ländern und Kommunen deutlich erhöht werden. Eine Chance, bezahlbaren Wohnraum zu schaffen und zu erhalten, liegt in der Wiedereinführung eines gemeinnützigen Wohnungssegments mit dauerhaften Sozialbindungen. Für kommunale und kirchliche Wohnungsunternehmen, Genossenschaften oder Stiftungen müssen unternehmensbezogene Förderinstrumente entwickelt werden, damit dauerhafte Anreize zum Erhalt preiswerter Wohnungsbestände mit unbefristeten Mietpreis- und Belegungsbindungen entstehen. Eine entscheidende Rolle spielt außerdem die Bodenpolitik. So dürfen öffentlicher Boden nicht länger privatisiert und kommunale Grundstücke nur noch in Erbpacht vergeben werden. Baureife Grundstücke dürfen nicht aus Spekulationsgründen brachliegen – hier brauchen wir verpflichtende Baugebote. Des Weiteren muss der aktuelle, galoppierende Mietenanstieg durch einen bundesweiten Mietenstopp von zunächst fünf bis sechs Jahren bekämpft werden, der allenfalls noch Mieterhöhungen in Höhe der Inflationsrate zulässt. Der Bund muss hier die entsprechenden Gesetzesänderungen herbeiführen. Dann verdient der Begriff Soziales Mietrecht weiterhin seinen Namen.

Gemeinsam statt teuer
Angesichts steigender Wohnkosten wird die Zukunft des Wohnens in der Überwindung des Privaten, nein, des Privatistischen liegen. Wohnen kostet Geld, Flächen, Materialien und Energie, also Ressourcen. Mehr Wohnfläche bedeutet mehr Baustoffe, bedeutet mehr Ausbeutung der natürlichen Speicher. Mehr Wohnfläche bedeutet mehr Energiebedarf trotz besserer Dämmung, bedeutet also mehr CO2-Ausstoß und damit einen (zu) hohen Beitrag zur globalen Erwärmung. Mehr Wohnfläche bedeutet mehr Gebäude und mehr Versiegelung, weniger Natur. Unsere Wohnungen gleichen immer mehr Warenhäusern mit einer zunehmend unüberschaubar werdenden Zahl von Gegenständen, für die wir Platz bereithalten müssen. Das ist oft genug ökonomisch nicht gerade rational, vor allem aber ist es ökologisch und sozial kontraproduktiv. Künftig werden wir unsere privaten Räume begrenzen auf kleine Rückzugsräume. Die meisten unserer täglichen Aktivitäten lassen sich gemeinsam in bester und komplexester Weise effizienter erledigen. Eine gemeinschaftlich genutzte Küche braucht weniger Platz, bringt Menschen zusammen und Vielfalt in die Köpfe und auf den Tisch. Gemeinsam genutzte Waschmaschinen, Trockner, Geräte jeglicher Art schonen den Geldbeutel und die Umwelt und sorgen ganz nebenbei für soziale Kompetenz. Wir überwinden die Marktförmigkeit des Lebens, indem wir wiederentdecken, was früher durchaus selbstverständlich war: das gemeinsame, das gute Leben.

Der ökologische Fußabdruck prägt das Wohnen der Zukunft. Die Erstellung von Wohnraum und sein Betrieb sollten so klimaneutral wie möglich sein.

Wohnen beim Arbeitgeber
Die Gesellschaft verändert sich und damit auch das Wohnen. Für kleinere, ältere oder mobilere Haushalte brauchen wir in Zukunft andere Wohnungen als noch vor wenigen Jahrzehnten. Wenn wir heute angesichts großer Nachfrage neu bauen, muss es also darum gehen, dass diese Wohnungen auch in Zukunft zum Bedarf passen. Und um bezahlbare Angebote dort zu schaffen, wo sie benötigt werden, brauchen wir möglichst viele (neue) Akteure, die zur effektiven Marktentlastung beitragen. Hier beobachten wir derzeit einen Trend: Vom Handwerksbetrieb bis zum Dax-Konzern erkennen immer mehr Arbeitgeber die Herausforderungen, die ihre Belegschaften beim Thema Wohnen haben, und reagieren darauf, indem sie selbst aktiv werden. Gerade dort, wo geeigneter Wohnraum knapp ist, erweisen sich Mitarbeiterwohnungen zunehmend als ein gewichtiger Vorteil beim Wettbewerb um die besten Köpfe. Die Beschäftigten profitieren von bezahlbaren unternehmensnahen Wohnungen, die zu ihren Bedürfnissen passen. Für den Arbeitgeber sind sie ebenfalls ein Gewinn, denn er baut so eine stärkere Bindung zu umworbenen Fachkräften auf. Auch die Städte profitieren, weil es auf jede zusätzliche Wohnung ankommt. Die realisierten Lösungen reichen von Neubauten auf unternehmenseigenen Reserveflächen bis hin zum überbauten Parkplatz für das Azubi-Wohnen. All das sind gute Beispiele für unorthodoxe, aber passgenaue Lösungen, die auf dem Wohnungsmarkt der Zukunft dringend benötigt werden.

Anders bauen
Meiner Ansicht nach kann unsere gegenwärtige Art des Bauens und Wohnens nicht fortgeführt werden. Obwohl immer mehr Menschen vom Land (oder Ausland) in die Großstädte ziehen, wird der wenige frei werdende Baugrund oft zur Errichtung von überdimensionierten Luxusapartments genutzt, bei denen sich wohlsituierte Pärchen erquicken können. Gleichzeitig werden in den ländlichen Regionen immer noch neue Baugebiete ausgewiesen, in denen sich Familien den Traum vom eigenen Haus verwirklichen, Geschossbauweise gilt dort oftmals immer noch als Tabu. Und die dortigen Baupreise werden dann noch durch ein umsinniges Baukindergeld angeheizt. Etwas mehr Bescheidenheit beim Wohnen, verbunden mit einer nachhaltigeren Bauweise, könnte schön viel bewirken.

Der Preis der Vielfalt
„Man kann mit einer Wohnung einen Menschen genauso töten wie mit einer Axt.“ Mit dieser Äußerung spielte der hauptsächlich im Berliner „Milljöh“ tätige Künstler Heinrich Zille auf die katastrophalen und krankmachenden Wohnverhältnisse in der Zeit um 1900 an. Heutzutage sind wir von solchen Zuständen natürlich weit entfernt. Es ist dennoch höchst bedenklich, wenn selbst Polizisten und andere Staatsbedienstete sich in der Innenstadt keine Wohnung mehr leisten können. Die Verdrängung aus den Innenstädten greift auch schon im Mittelstand um sich. Ob Mitpreisbremsen diesen Trend in der Zukunft umkehren können oder sich nur noch die Finanzelite in der City eine Wohnung leisten kann, wird neben Bürgerinitiativen und der Politik auch Gerichte beschäftigen. Ich kann nur hoffen, dass unsere lebenswerten Städte auch in Zukunft von Menschen aller Couleur bewohnt werden. Egal ob Rentner, Student, Banker oder Müßiggänger. Die bunte Mischung verschiedener Lebenswelten macht das Flair einer wahren Metropole aus.

Große Gegensätze
Die Größe der Wohnungen und die Zahl der Autos ist in den vergangenen Jahrzehnten kontinuierlich gewachsen. Trotz eines Ausbaus der Straßen in die Ballungszentren haben die Staus durch die allgemeine Verkehrszunahme und den zusätzlichen Pendlerverkehr so zugenommen, dass Bürger diesem Stress ausweichen wollen, indem sie versuchen, in die Zentren umzuziehen. Somit bleiben die Mieten dort hoch und zwingen die Gemeinden, Maßnahmen zu treffen, damit Beschäftigte der Schulen, Krankenhäuser oder Müllabfuhren in der Stadt ihres Arbeitsplatzes verbleiben. Die Auseinandersetzungen um die Mieten, die Verdichtung beim Bauen und die Erhaltung von Frei- und Grünflächen werden eher zu- als abnehmen. In Städten wie München, Berlin und Frankfurt am Main sieht man, dass die Gemeindevertreter gewählt werden, die versprechen, zukünftig wieder mehr Wohnanteile preiswert zur Verfügung zu stellen. Außerhalb der urbanen Zentren stellt sich die Situation anders dar: Der ländliche Raum leidet unter Abwanderung und unzureichender Infrastruktur, es fehlt zum Teil an Arbeitsplätzen. Hilfreich wären Ansätze, die Verlagerung von Bundes- und Landesbehörden in diese Gebiete durchzusetzen. Dies würde den Wohnungsbau in den Gemeinden um die Ballungsgebiete stärken und ihre Einwohnerzahlen stabilisieren.

Fehlendes Puzzleteil
In einer nach Flexibilität schreienden Arbeitswelt braucht es auch eben- so flexible Wohnkonzepte für all die Teilzeit-Arbeitsnomaden. Gerade für Arbeitnehmer, die temporär oder zur Einarbeitung in eine andere Stadt zie- hen müssen, ist es schwer, überhaupt eine Wohnung zu finden. Wer bei den oft schmalen Angeboten für Zwi- schenmieten bei Privatpersonen nicht fündig wird, dem bleiben oft nur Fe- rienwohnungen als Alternative. Doch die sind für diese Zwecke gar nicht gedacht und völlig überteuert. Denn was für Urlaubsaufenthalte praktisch erscheint, stellt bei mehrmonatiger Miete eine enorme finanzielle Be- lastung dar – und zwar nicht nur für den Arbeitgeber. Im Zweifel muss der Arbeitnehmer selbst einen Teil der Kosten tragen. Hier müsste ein ganz neues Marktsegment entstehen – mit Wohnungen, in denen sich zu günsti- gen Mieten und flexiblen Mietdauern eine Zeit lang wohnen lässt. In jeder größeren Stadt würde ein an das Co- Working-Prinzip angelegtes Co-Li- ving-Konzept funktionieren.

Verteilt euch
Wie so oft handelt es sich um ein Verteilungsproblem. Also muss gesteuert werden. Damit die Leute bereit sind, aufs Land zu ziehen, sollte der öffentliche Verkehr billiger und schneller werden. Und um dort die Haus- und Grundstücksbesitzer in Bewegung zu bringen, müssen steuerliche Anreize gesetzt werden. Vielmehr ist eigentlich nach meinem Ermessen nicht notwendig. Ich denke, dass es bei Abflauen der Konjunktur sowieso zur Normalisierung der Wohnpreise kommen wird.

Nutze die Möglichkeiten
Wenige Jahre zur Miete in einem Haus mit einer modernen Ölheizung haben uns gezeigt: Der Versuch, mit fossiler Anlagentechnik und Verbrennungsmotoren CO2 einzusparen, ist weitgehend sinnlos, wenn die CO2-Emissionen bis 2050 um 90 Prozent sinken sollen. Außerdem macht Energiesparen überhaupt keinen Spaß. Bei der Suche nach Wegen, unsere Energieversorgung in die eigene Hand zu nehmen, kamen wir auf das Sonnenhaus-Konzept. Eine Solarthermie-Anlage übernimmt in Verbindung mit einer Holzheizung die Wärmeversorgung. Photovoltaik mit Batterie versorgt das Haus komplett mit Strom und deckt zusätzlich 20.000 Kilometer E-Mobilität im Jahr – eine Unabhängigkeit, die mit einer Wärmepumpe nicht zu erreichen ist. Umstellungen in der Lebensweise erfordert das Wohnen im Sonnenhaus keine. Wir verheizen heute so viel Holz im Ofen wie früher, brauchen jetzt aber kein Öl mehr. Die seit 25 Jahren erprobte solare Haustechnik funktioniert problemlos. Einzig unsere Einstellung zu Energie hat sich geändert. Durch den Überblick über Erzeugung und Verbrauch nutzen wir die Energie der Sonne ganz intuitiv, wenn sie zur Verfügung steht. Nachdem unsere persönliche Energiewende geschafft ist, sehen wir der Zukunft gelassen entgegen. Für Wohnen und Mobilität erzeugen wir keine CO2-Emissionen mehr, unsere Energiekosten sind auf null Euro gesunken und die Wirtschaftlichkeit des Konzepts ist nach unter 20 Jahren erreicht. Wir haben unser Haus der Zukunft gefunden.

Urbane Spielwiese
Unser Leben ist individualisierter und mobiler als je zuvor. Doch auch digitale Nomaden haben den Wunsch nach einem Zuhause oder einem Rückzugsort. Das kann ein Hotel oder ein Serviced Apartment sein – je nachdem, in welchem Lebensabschnitt sie sich befinden. Einrichtungstrends sind Geschmackssache, die richtige Aufteilung und Nutzung des Raums im Zusammenspiel mit Licht, Stoffen, dem Boden und den Wänden ist das eigentliche Kunststück bei der Frage nach der Zukunft des Wohnens. Über 80 Prozent unserer Lebenszeit verbringen wir in Innenräumen. In Zukunft werden die Menschen noch stärker auf nachhaltige Materialien achten und regionale Produkte nachfragen, während Individualität weiter eine große Rolle spielt. Häuser sind immobil, Innenräume dagegen flexibel gestaltbar. Alte Möbel lassen sich recyclen, Wände einziehen oder einreißen, Räume umbauen. In den nächsten Jahren werden die Städte voller. Somit kommt dem Bauen im Bestand eine steigende Bedeutung zu. Er kann Teil des Klimaschutzes sein, da er weniger Flächenverbrauch, Energie und Stoffmengen bedeutet und damit weniger CO2-Emissionen verursacht als ein Neubau. Innenarchitektinnen und -architekten sind hier spezialisierte Gestalter und Planer – ob bei der Nachverdichtung, bei Trends wie Micro Living oder der energetischen Sanierung. Die Zukunft entscheidet sich also nicht nur am Neubau und an der Flächenerschließung, sondern an der intelligenten Nutzung unseres Bestands.

Alles geht
Lange bevor Immersion und Kontingenz die virtuelle Realität als Medien-Hypes ablösten, hatten Moden und Interior Designs ihre Gesetzmäßigkeit verloren. Design-Epochen auszurufen, haben die in Auflösung begriffenen individualisierten Gesellschaften abgeschafft. Alles geht. Nichts anderes bedeuten die oben erwähnten Labels. Im Turbo-Kapitalismus dürfen Möblierungen ohnehin nicht von Dauer sein – wie man es einst von den kompletten Ensembles in den Wohnungen unserer Großeltern erwartete. Angesichts der Ungewissheiten unseres Daseins verheißen Möbel, Stoffe oder Teppiche andererseits die Illusion einer körperhaft überschaubaren Welt. Auf diese heimeligen Objekte werden wir so lange nicht verzichten wollen, wie die Vision des Bauhaus-Designers Marcel Breuer vom Sitzen auf einer elastischen Luftsäule virtuelle Realität geworden ist. Bevor nicht auch die Möbel- und Lifestyle-Industrien den Schwenk auf nachhaltige Materialien, also ein Umdenken fort von Masse und Konsumzyklen vollzogen haben, wird das Wohnen in biografischen Versatzstücken mit Ikea-Lieblingssessel, Selbstgetischlertem, wenigen Erbstücken und den obligatorischen Antiquitäten des 20. Jahrhunderts von Bauhaus über Skandinavien bis Eames und Bertoia vermutlich die Norm bleiben. Aber lassen sich an diesen Objekten nicht auch wunderbar Lebensleistungen und Karrieresprünge ablesen? Zudem können sie von uns Nomaden der Gegenwart flexibel in jede neue Wohnsituation eingepasst werden.

Raus aufs Land
Ländliche Gemeinschaften erleben gerade eine Art Renaissance, die nach neuen Typen von Innovatoren ruft und zugleich auf die dort bereits aktiven Kreativen belebend wirkt. Dank neuer Technologien sind Barrieren gefallen, die einst den Fortschritt auf die Städte beschränkten. Die neuen Möglichkeiten haben eine starke Wirkung auf die Entwicklung von Projekten und Geschäftsmodellen. Dadurch ist das Potenzial entstanden, die Lücken zu füllen, die durch die massive Abwanderung in die Städte entstanden sind. Auf lange Sicht könnte so Raum für eine zunehmend offene, sichere und inklusive Gesellschaft geschaffen werden. Wir haben eine großartige Chance, den Austausch und den Transfer von Werten, Lebenstilen und Wissen voranzutreiben. Davon können Landmensch und Stadtmensch gleichermaßen profitieren. Es existiert bereits eine wachsende Gemeinde aus Machern, Aktivisten und Visionären, die ländliche Gebiete zu ihrem Zuhause gemacht und Raum für eine inklusive Entwicklung bereitet haben. Für Städter eröffnet sich hier die Chance, ihre eigenen Lebenskreise zu erweitern und zugleich ihren ländlichen Gegenübern die Hand zu reichen – denn Inklusion funktioniert nur in beide Richtungen. Die momentane Entwicklung hält permanente wie temporäre Lebenslösungen bereit, die oft im Geiste der Sharing Economy gestaltet sind. Sie bietet die großartige Chance, uns die Naturlandschaft wieder für eine längere Zeit als Lebensmittelpunkt zu erschließen.

Inklusive Quartiere
Für die Zukunft des Wohnens würde ich mir wünschen, dass sich Quartiere stärker für Menschen mit unterschiedlichen Anforderungen an das Wohnumfeld öffnen. Es braucht mehr und neue Wohnangebote für Menschen mit Unterstützungsbedarf. Ambulant betreute Wohngemeinschaften etwa ermöglichen den Verbleib im vertrauten Wohnumfeld, wenn ein Pflege- oder Betreuungsbedarf den Auszug aus der bisherigen Wohnung erforderlich macht. Damit jedoch keine „Inseln“ im Quartier entstehen, braucht es Wohnkonzepte, die die soziale Dimension des Wohnens in den Vordergrund stellen. Denn kommende Generationen werden stärker auf Unterstützungsnetzwerke jenseits der Familie angewiesen sein. Gemeinschaftliche Wohnprojekte zeigen vielerorts, wie Wohnen anders als gewohnt gedacht werden kann: Soziale Kontakte, regelmäßige Aktivitäten und wechselseitige Unterstützung im Wohnalltag sind hier eine Selbstverständlichkeit. Zunehmend entdecken auch traditionelle Genossenschaften und Wohnungsunternehmen die Vorteile gemeinschaftlichen Wohnens und integrieren Projektgruppen bei Neubauvorhaben. Weiterhin entstehen Projekte, die gemeinschaftliches Wohnen mit Angeboten zur Versorgung, Teilhabe, Pflege und Beratung verbinden. Im Modellprogramm „Gemeinschaftlich wohnen, selbstbestimmt leben“ des Bundesfamilienministeriums werden seit vier Jahren viele innovative Wohnformen gefördert. Sie zeigen, wie Wohnen in Zeiten des gesellschaftlichen Wandels neu gedacht werden kann.

Zusammen leben
Schon in naher Zukunft werden ältere Menschen einen weitaus größeren Teil unserer Bevölkerung stellen als bisher. Diese demografische Veränderung sollten wir als Architekten als Chance sehen, die Zukunft des Wohnens und Zusammenlebens neu zu denken und mit neuen Ideen und Konzepten zu experimentieren. Um Vereinsamung und Ausgrenzung in einer alternden Gesellschaft zu verhindern, sollten wir verstärkt in Gemeinschaften statt in kleinen Familienstrukturen denken. Gleichzeitig verändert sich unsere Beziehung zu Eigentum und Besitz. Gemeinsam genutzte Räume, innen wie außen, ersetzen nicht nur private Quadratmeter, sondern werden zu gemeinschaftsfördernden Treffpunkten. Lokal produzierte Lebensmittel können dank moderner Technologie mehr und mehr in unseren Lebensraum einziehen, durch die Gemeinden mitgetragen werden und gleichzeitig die Lebensqualität verbessern. Diese neue Senioren-Generation unterscheidet sich von vorherigen. Ein gesteigertes Gesundheitsbewusstsein und moderne Medizin haben nicht nur die Lebenserwartungen angehoben, sondern tragen auch dazu bei, dass unsere Ältesten fitter und agiler sind. Die Art und Weise, wie wir in Zukunft Wohn- und Lebensraum gestalten, ermöglicht es uns, diese Generation als wichtigen Teil unserer Gesellschaft zu integrieren. Es ist ein jahrhundertealtes Lebensmodell, nur dieses Mal denken wir es vertikal und dicht beieinander in grünen Städten, voll von Bewegung, Kultur und Freizeit.

Schnell und günstig
Günstige Wohnungen sind in Deutschland Mangelware und auch in Zukunft wird es in diesem Segment erheblichen Bedarf geben. Gleichzeitig ist mehr Flexibilität gefragt, denn die Bedarfe können sich ändern. Das bedeutet, dass es häufiger Ersatzneubau geben kann. Vor diesem Hintergrund sollten wir über die Art des Bauens neu nachdenken, vor allem aber prüfen, ob alle 3.300 Normen im Wohnungsbau tatsächlich erforderlich sind. In den Niederlanden hat man sehr gute Erfahrungen mit einer Verschlankung der Bauordnung gemacht. Die Baukosten sind dort seitdem langsamer gestiegen als in Deutschland und es wird mehr auf modulares Bauen gesetzt. Durch Standardisierungen lassen sich etwa Reihenhäuser deutlich günstiger herstellen, ohne dass Abstriche bei Komfort, Ästhetik und Energieeffizienz gemacht werden müssen. Gerade bei studentischem Wohnen kann man auch grundlegend über Standards nachdenken. Ist es sinnvoll, dort die gleichen Energiestandards wie im Einfamilienhaus-Segment anzulegen? Ist es für Studierende wirklich zwingend, dass alle Leitungen verputzt sind, oder haben sie nicht vielmehr den Wunsch, möglichst günstig zu wohnen? In den letzten Jahrzehnten ging es immer nur darum, die Qualität des Wohnungsbaus zu steigern. Künftig sollten auch die Kosten stärker in den Blick genommen werden. Durch Digitalisierungen kann noch viel Potenzial genutzt werden. Dass die Herstellungskosten für Wohnungen immer weiter steigen, ist kein Naturgesetz.

Homo adapticus
Wagen wir einen Blick in das Land der aufgehenden Sonne. In China gibt es für die westliche Welt kaum vorstellbare Lösungen, der Wohnungsnot Herr zu werden. Perfekt gestaltete Zehn-Quadratmeter-Wohnungen sind nur ein Beispiel. Wir werden uns immer mehr mit solchen Alternativen beschäftigen müssen, denn Wohnraum wird teurer und wächst bei weitem nicht so schnell wie die Bevölkerung. Also müssen neue und auch ungewöhnliche Maßnahmen in Betracht gezogen werden. Möglicherweise müssen wir in Zukunft auch ein paar Abstriche machen und uns anpassen. Wohngemeinschaften oder eben wesentlich kleinere Wohnung werden zur Tagesordnung gehören. Aber auch bei der Ausstattung und Energieversorgung wird sich einiges ändern. Häuser werden sich bestmöglich autark mit Energie versorgen, sodass gleichzeitig dem Klimawandel kontra gegeben wird. Alles in allem wird sich hier einiges verändern und ich bin gespannt wie wir diese Frage in zehn Jahren beantworten.

Über den Dächern
Als Kind war ich ein großer Fan der Zeichentrickserie „Die Jetsons“. Besonders fasziniert hat mich die fröhliche, optimistische Vision einer von Kreativität und Technologie geprägten urbanen Zukunft. Die Menschen streben immer mehr in die Städte. Und wir brauchen intelligente Lösungen, um das Zusammenleben aller Bürger auf eine soziale und umweltbewusste Art und Weise zu bewältigen. Interessant finde ich beispielsweise Conceptual-Living-Konzept: Durch den Einsatz von multifunktionalen Möbeln und variablen Wandmodulen wird die Wohnung in diverse Funktionsbereiche eingeteilt. So kann ein Zimmer praktisch gleichzeitig als Homeoffice und Wohnzimmer genutzt werden. Aber nicht nur die Inneneinrichtung sollte smarter werden. Meiner Meinung nach löst der Hochhausbau nicht nur das Problem des Wohnmangels, sondern kann darüber hinaus auch einen effektiven Beitrag für eine fortschrittliche urbane Infrastruktur darstellen. Urban Gardening über den Dächern der Stadt – oder, wie bei den Jetsons, Hochhäuser als Landeplätze für Flugtaxis. Verkehrs- und Wohnprobleme lösen sich dann in den Wolken auf.

Wer billig baut, baut zweimal
Es wäre klug, wenn wir die Zukunft des Wohnens umsichtig und groß- zügig planen würden. Schon heute will in einer Stadt wie Berlin fast je- der, der es sich leisten kann, in einer Wohnung leben, die vor über hundert Jahren erbaut wurde. Während 60er- Jahre-Bauten reihenweise abgerissen werden, würde niemand ernsthaft die Gründerzeithäuser anrühren. Warum? Sie bieten hohe Substanz, große Le- bensqualität und zeitlose Schönheit. Schon wegen der gebotenen Nachhal- tigkeit können wir es uns nicht mehr leisten, alle 40 Jahre neu zu bauen. Unsere neuen Gebäude sollten auf eine hohe Lebensdauer ausgerichtet und an die klimatischen Bedingungen sowie an die Energieerzeugung der Zukunft angepasst sein. Statt Nachverdichtung sollten wir auf ausreichend unver- siegelten Raum auch in den Städten setzen und neuen öffentlichen Raum durch intelligente Verkehrskonzepte gewinnen. Doch wäre dies alles bezahl- bar? Nicht wenn man wahllos Investo- ren umwirbt und denen sagt, sie sollen überall bauen, wo und wie es sich für sie lohnt. Mit einem gewissen Prozent- satz „bezahlbarer“ Wohnungen. Wir benötigen Gemeinsinn und Planung. Die eigentliche Zukunftsfrage lautet: Schaffen wir es, das Wohnen nicht nur über den Markt zu regulieren? Wie stellen wir sicher, dass alle Menschen und Berufsgruppen, die wir in unseren Städten benötigen, sich diese Städte auch leisten können? Hier bräuchten wir wirklich intelligente Lösungen. Nix billiges.

Wohn-Tetris
Die Zukunft des Wohnens wird auch innenarchitektonische Veränderungen mit sich bringen. Es gibt jetzt schon Möbel, die multifunktional genutzt werden können. Schranktüren, die in der Wand verschwinden und einen Schreibtisch preisgeben. Oder Stühle, die verlängert werden können, sodass mehrere Leute darauf sitzen können. Platz will und muss sinnvoll genutzt sein, das wird neben dem Design definitiv am wichtigsten werden. Denn wir werden es in Zukunft mit immer kleineren Wohnungen zu tun haben. So können wahre Raumwohnwunder entstehen, in denen die Einrichtung optimal eingepasst wird. Im Grunde erinnert das alles ein wenig an Tetris.

natürliche Baumaterialien und hohe Flexibilität für nachhaltiges Wohnen
Aufgrund des voranschreitenden Klimawandels und der Ressourcenknappheit stehen wir zunehmen vor neuen Herausforderungen, die fordern, dass wir uns grundlegend mit unserem Umgang mit der Umwelt auseinandersetzen. 60% des europaweiten Müllaufkommens wird durch den Bausektor produziert. Gebäude müssen anders konstruiert werden, um diese Zahl zu senken. Hierfür gibt es verschiedene Ansätze: Gebäude mit ausschließlich lösbaren Verbindungen, Gebäude mit erneuerbaren, lokalen und nachwachsenden Rohstoffen, die dem natürlichen Stoffkreislauf wieder zugeführt werden können und Gebäude aus rezyklierten Materialien zu errichten. Neben der verbesserten Öko-Bilanz bietet Holz, welches in unserer Gegend einer der sinnvollsten natürlichen Baustoffe ist, durch industrielle Vorfertigung, geringere Bauzeiten, geringere Kosten sowie eine präzisere bauliche Umsetzung. Im Hinblick auf unsere zunehmend verstädterte Gesellschaft sind wir uns einig: Nachverdichtung muss sein. Jedoch nicht zu jedem Preis. Vielmehr rücken Nutzungsüberlagerung, Kleinteiligkeit und Kombinierbarkeit der Einheiten in den Vordergrund. Gebäude für eine Standard-Familie mit 3 Kindern zu planen ist nicht mehr nachhaltig, vielfältige Familienformen sind der neue Standard. Wer benötigt wirklich sechs Zimmer wenn die Kinder aus dem Haus sind? Es müssen Grundrisse entstehen, die sich ohne großen Aufwand an die verschiedenen Lebenssituationen der Bewohner anpassen können.
Manfred Jost, Präsident Verband Wohneigentum