
Wie wollen wir wohnen?
Mit der Pandemie wurde unser Wohnraum essenziell, musste herhalten für Beruf, Schule, Kita und gleichzeitig als Rückzugsraum, genügend Platz hin oder her. Viele Gewissheiten wurden auf einmal hinterfragt oder gar auf den Kopf gestellt: Im Eigentum, möglichst ungebunden, altersgerecht, in der Stadt oder doch lieber auf dem Land? Schreiben Sie uns, wie Sie in postpandemischen Zeiten wohnen möchten.

Wie wollen wir wohnen? Wer ist „wir“?
Wohnen ist ein Grundbedürfnis wie Nahrung oder Mobilität. Wie beim Autokauf kann man bei der Wohnungsgestaltung eine Software einsetzen, die alle Wünsche und Randbedingungen abfragt. 1. Lebensphase: Single, junge Familie, Pendler mit Zweitwohnung, Ehepaar in den Fünfzigern, pflegebedürftige Senioren oder Sonstige? 2. Geografische Lage: auf dem Land, Stadtnähe oder mitten in der Großstadt? 3. Persönlicher Stil: geselliger Mensch, Schneckenhaus-Typ? Die Software führt nach weiteren Abfragen zu einem optimalen Angebot. Ich muss entscheiden, will und kann ich mir diese Wohnung leisten? Neben der Frage nach der Umweltverträglichkeit bleibt noch ein anderer Aspekt bei diesem individuellen Vorgehen der Wohnungsgestaltung unberücksichtigt: wer ist mit „wir“ gemeint? Eine Minderheit, die sich trotz großer Wohnung auch regelmäßig Urlaub leisten kann? Die Bewohner einer Stadt mit hohem Migrationsanteil? Die Menschen in Deutschland, die den Geflüchteten ein Asyl bieten wollen? Die Frage nach dem Wohnen hat etwas mit unserem Miteinander zu tun. Individuelle Extrawünsche sind nichts Verwerfliches, sei es der Garten, die gemütliche Wohnstube oder anderer Luxus, der uns guttut. Eine Optimierung der Wohnung soll aber nicht zu einer Abgrenzung führen. Solange man die Mitmenschen und das gute Zusammenleben im Blick hat, kann es eine win-win-Situationen geben. Vielleicht können wir z.B. freien Wohnraum Wohnungssuchenden anbieten?

Ein Leben lang: L(i)ebenswert wohnen
Die meisten Menschen wollen in ihrer vertrauten Umgebung wohnen bleiben, von den über 65-jährigen wohnen aktuell 93% in Wohnungen / Häusern zur Miete oder im Eigentum. Von den über 90-jährigen 75%. Viele müssen das auch, weil es kaum bezahlbare und barrierefreie Wohnungen bzw. solche mit weniger Barrieren gibt. Durch Wohnberatung kann die selbstbestimmte Lebensführung in der vertrauten Wohnung durch möglichst optimale Anpassung an die individuellen Bedürfnisse erhalten bleiben. Dies kann präventiv oder reaktiv erfolgen. Ziel ist es immer, den Vorstellungen und Wünschen der Ratsuchenden zu entsprechen. Die Wohnumgebung muss den Bedürfnissen ihrer Bewohner*innen entsprechen. Viele Anforderungen Älterer können als Maßstab sein: weniger Barrieren bedeuten mehr Komfort für alle Menschen. Ältere bewegen sich viel zu Fuß, mit Fahrrad, teilweise mit Gehhilfen oder Rollator. Das direkte Wohnumfeld gewinnt an Bedeutung, weil der Bewegungsradius oft kleinräumiger wird. Auch Jüngere z.B. mit Kinderwagen oder schweren Einkaufstaschen tun sich schwer, wenn Barrieren auftauchen. Die Wohnumgebung ist mit entscheidend für alltägliche Routinen: Rituale, Kontaktaufnahme, allgemeine Versorgung, Sicherheitsgefühl, Bewegungsmöglichkeiten und somit Gesundheitsprävention, Selbstbestimmtheit und Selbständigkeit. Notwendig ist es, z.B. „dritte Orte“ in der nahen Umgebung zu schaffen bzw. vorhandene zu erhalten.
Siegfried Kärcher, Leser